Kolumne # 677 vom 14.12.2013: Langer Marsch zur Freiheit
14.12.13 (von maj) Mit Nelson Rolihlahla Mandela starb ein Revolutionär. Er braucht keinen Heiligenschein
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 290 – 14./15. Dez. 2013
Er wurde im Juli 1918 als Rolihlahla geboren – In einer Nation, deren Bürger er nicht wirklich war; in einem Land, das zu jener Zeit noch Südafrikanische Union hieß und Teil des britischen Empire war. Die Welt sollte ihn später als Nelson kennenlernen, wie ihn seine Lehrerin, Miss Mdingane, vom ersten Schultag an nannte, weil es in Südafrika üblich war, afrikanischen Kindern englische Namen zu geben. Nach einem langen Lebensweg von 95 Jahren ist Nelson Mandela nun zu seinen Ahnen zurückgekehrt. Zwischen seiner Geburt und seinem Tod hat Mandela ein atemberaubend leidenschaftliches Leben zwischen Liebe und Revolution, Kampf und Widerstand, Gefangenschaft und Isolation, Freiheit und Tod gelebt.
Anläßlich seines Todes haben die US-Medien von ihm das Bild eines afrikanischen Bürgerrechtskämpfers gezeichnet, eines »Martin Luther King« mit Heiligenschein aus weißem Haar. Dazu gab der US-Präsident eine Erklärung heraus, in der er beklagte, Mandela sei »zu unrecht eingesperrt gewesen«. Es ist jedoch völlig irreführend, aus Mandela einen Martin Luther King jr. oder einen Malcolm X zu machen. Er war weder der eine noch der andere, war vielmehr ganz er selbst: Ein Afrikaner und Anwalt, der jedes verfügbare Mittel nutzte – legal, wenn er konnte, illegal, wenn er mußte –, um Widerstand gegen ein System zu leisten, unter dessen Herrschaft viele Leben von Afrikanern zermalmt wurden. Mandela war auch Revolutionär, bewaffneter Guerillero und Kommandeur der Untergrundarmee des Umkhonto we Sizwe – »Speer der Nation« – unter Führung des African National Congress (ANC).
Seit 1948 war die südafrikanische Regierung ein Werkzeug der Herrschaft des Terrors und der Folter, wie sie nur ein paranoides Siedlervolk wie die Buren errichten konnte. Unter dem Banner der Nationalen Partei baute die südafrikanische Regierung die verabscheuungswürdigen Rassenschranken der »Apartheid« aus, ein Wort, das aus der Burensprache Afrikaans stammt und für »Getrenntheit« steht. Damit erreichte die Vorherrschaft der Weißen und die Unterordnung der Schwarzen einen wahrhaft irrsinnigen und entmenschlichenden Höhepunkt. Der Apartheidstaat Südafrika wurde zur Verkörperung des legalisierten weißen Rassismus und einer blindwütig brutalen Unterdrückung, deren grundlegender Zweck die möglichst billige Auspressung und Ausbeutung der schwarzen Arbeiterinnen und Arbeiter war.
Dieses System ließ keine Gelegenheit aus, Demütigung, Schmerz und Gewalt über das Leben der Afrikaner zu bringen. Zum Nutzen der Weißen zerstörte es alle Lebensbereiche der Schwarzen in Südafrika – in der Wirtschaft, im Bildungs- und Gesundheitswesen, in Job und Familie. Erst als das System an seinen eigenen Widersprüchen zugrunde zu gehen drohte, erhielt Dr. Nelson Mandela den Auftrag, die Lage des Landes zu konsolidieren. Und heute ist die Republik Südafrika einer der Staaten mit der weltweit größten wirtschaftlichen Ungleichheit unter seinen Bürgern, übertroffen vielleicht nur noch von den Vereinigten Staaten von Amerika.
Nelson Mandela, der als Kind in das Königshaus eines afrikanischen Stammes hineingeboren wurde, in einem Land, auf das die britische Kolonialmacht Ansprüche erhob, in einer Nation, in dem die Hautfarbe bestimmt, ob ein Mensch Privilegien erhält oder unterdrückt wird, ließ als politischer Gefangener nach 27 Jahren das Gefängnis hinter sich, wurde zum ersten schwarzen Präsidenten gewählt und öffnete die Türen zur Geburt einer neuen Nation. Das ist der Stoff für spannende Dramen, in denen es um die Verwirklichung von Träumen geht, Verluste von epischen Ausmaßen, quälende Einsamkeit und um die Entscheidung, das Richtige zur rechten Zeit zu tun. Die Apartheid mag der Vergangenheit angehören, aber die Mehrheit der schwarzen Südafrikaner ist weit davon entfernt, in den Genuß von Privilegien zu kommen. Der lange Marsch Richtung Freiheit ist längst noch nicht vorüber.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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