Kolumne # 740 vom 23.02.2015: Frankensteins Monster
23.02.15 Angesichts des Abschlachtens von Menschen, todbringender Bombenanschläge und abscheulicher Enthauptungen durch den »Islamischen Staat« und die nigerianische »Boko Haram« ergibt sich die entscheidende Frage: Wer ist das wirkliche Monster – das Geschöpf oder sein Schöpfer?
Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 45 vom 23. Februar 2015: Bitte HIER klicken!
Frankensteins Monster
Seit zweihundert Jahren kann sich jede neue Generation Frankensteins Monster bildhaft vorstellen: Es war groß, beeindruckend und schwieg zumeist. Das Ungeheuer lebte und war dennoch zugleich ohne Leben. Es bewegte sich, allerdings mit schleppendem Gang, so dass wir uns vorstellten, dass die eher agilen Zeitgenossen unter uns seiner bedrohlichen Umarmung jederzeit entkommen konnten. Wer aber ist das wirkliche Monster – derjenige, der es erdacht und konstruiert hat, oder die Kreatur, die von Menschenhand erschaffen wurde?
Diese Frage geht einem durch den Kopf, wenn man sieht, was sich jetzt in vielen Städten des Nahen Ostens, Afrikas, Europas und anderswo an eruptivem Abschlachten von Menschen, todbringenden Bombenanschlägen und abscheulichen Enthauptungen ereignet. Wir hören, dass der »Islamische Staat« und die nigerianische »Boko Haram« dafür verantwortlich sein sollen. Die eigentliche Frage ist aber, wo diese menschenverachtende Gewalt ihren Ursprung genommen hat.
In den späten 1970er Jahren wurde der spätere afghanische Warlord namens Gulbuddin Hekmatjar vom pakistanischen Geheimdienst »Inter-Services Intelligence« (ISI) angeheuert und als Geschenk an den US-Auslandsgeheimdienst CIA weitergereicht. Hekmatjar war skrupellos und hasste die USA und die Sowjetunion gleichermaßen. Seine Hintermänner im pakistanischen Geheimdienst machten ihm klar, sein Job sei jetzt, »Russen« umzubringen, oder genauer: Kommunisten der UdSSR, die mit dem Einmarsch der sowjetischen Armee der 1978 ausgerufenen Demokratischen Republik Afghanistan und ihrer Regierung unter Präsident Mohammed Nadschibullah wieder auf die Beine helfen wollten.
Bei seinen neuen Auftraggebern von der CIA galt Hekmatjar intern als »Faschist« und als »furchterregend«. Das hinderte den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan jedoch nicht daran, den neuen Verbündeten und seine Gotteskrieger als »Freiheitskämpfer« zu bezeichnen und eine Abordnung von ihnen im Weißen Haus zu empfangen. Hektmatjar, Chef der »Hizb-i Islāmī« (Partei des Islam), baute mit seinen Mudschaheddin eine militärische Streitmacht auf, aus der die Taliban hervorgingen, später auch Al-Qaida und »Islamischer Staat im Irak und Syrien« (ISIS), heute nur noch »Islamischer Staat« genannt, und viele solche Organisationen mehr überall auf der Welt. Die Geheimdienste Pakistans, Saudi-Arabiens und vor allem der USA haben diese Gruppen über Jahrzehnte trainiert, mit Waffen ausgerüstet und auf ihre jeweiligen Ziele ausgerichtet, bis sie sich schließlich vollends gegen den Westen selber wandten.
Mary Wollstonecraft Shelley (1797–1851) ist die Autorin eines der bekanntesten Werke der phantastischen Literatur, des 1818 erstmalig veröffentlichen Romans »Frankenstein oder Der moderne Prometheus«. Darin lässt sie Viktor Frankenstein folgende Worte sagen, bevor er voller Entsetzen aus seinem Haus flüchtet: »Ich erblickte die Kreatur, das elende Monster, das ich erschaffen hatte.« Daraus ergibt sich bis heute die entscheidende Frage: Wer ist das wirkliche Monster – das Geschöpf oder sein Schöpfer?
Übersetzung: Jürgen Heiser
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