Kolumne # 743 vom 16.03.2015: Der »Blutsonntag« von Selma ist noch lange nicht Geschichte
16.03.15 (von maj) Die Ereignisse von Selma sind ein anschauliches Beispiel für ein Übel, das weiterhin unser Leben begleitet: Dass die Polizei Immunität genießt, wenn sie Gewalt ausübt
Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 63 vom 16. März 2015: Bitte HIER klicken!
Der »Blutsonntag« von Selma ist noch lange nicht Geschichte
Dass US-Präsident Barack Obama ein wahrer Meister der Redekunst ist, wird niemand in Frage stellen wollen. Genau diese Qualität brachte ihn ins Spiel, als er 2004 die versammelten Delegierten der Demokratischen Partei auf ihrem Nationalkonvent faszinierte.
Das gelang ihm auch am 7. März wieder, anlässlich des 50jährigen Gedenkens des »Blutsonntags« in Selma, Alabama, auf der Edmund Pettus Bridge. Seine zentrale Botschaft: Niemand kann ernsthaft Zweifel daran haben, dass sich seit Selma etwas zum Besseren verändert hat. Niemand. Obamas Rede, die er mit dezenter Leidenschaft vortrug, war ein Meisterwerk. Aber dennoch sei ein Einwand gestattet.
In der Geschichte der Bürgerrechtsbewegung ist Selma zu einem heiligen Ort geworden. Nicht aufgrund der Ereignisse dort, sondern vielmehr wegen der drei Protestmärsche von Selma nach Montgomery. Die öffentliche Empörung hat damals dem »Voting Rights Act«, dem Wahlrechtsgesetz, zum Durchbruch verholfen, demselben Gesetz, das der Oberste Gerichtshof der USA vor kurzem wieder eingeschränkt hat.
Selma ist außerdem ein anschauliches Beispiel für ein Übel, das weiterhin unser Leben begleitet: Dass die Polizei Immunität genießt, wenn sie Gewalt ausübt. In Selma schlugen Staatspolizisten und sogenannte Hilfssheriffs Menschen bewusstlos. Sie schlugen so hart zu, dass Demonstranten Zähne verloren und Schädel-, Rippen-, Arm- und Beinbrüche erlitten. Wie viele dieser Übeltäter sind wohl dafür ins Gefängnis gesteckt worden? Nicht ein einziger. Nur vier Jahre nach dem »Blutsonntag« von Selma brachen Polizisten 1969 in die Wohnung des Anführers der Black Panther Party in Chicago ein und erschossen ihn im Schlaf. Minuten zuvor hatten sie beim Aufbrechen der Tür seinen Genossen Mark Clark ermordet. Wie viele der beteiligten Polizisten wurden wohl zu Gefängnisstrafen verurteilt? Null.
Machen wir einen Sprung in die Gegenwart nach Ferguson, Missouri, und zum Fall des von dem weißen Polizisten Darren Wilson erschossenen Mike Brown: Gegen den Todesschützen wird es kein Strafverfahren geben, weder von der Justiz in Missouri noch von Juristen des US-Justizministeriums. »Zu schwierig« sei es, »Wilson nach Bundesgesetz wegen der Verletzung der Bürgerrechte Michael Browns anzuklagen«, sagt die US-Bundesanwaltschaft.
Am 13. Mai 1985 warfen Polizisten aus einem Hubschrauber eine Brandbombe auf ein Haus der Move-Organisation in Philadelphia und nahmen das Gebäude gleichzeitig unter Dauerbeschuss. Elf Männer, Frauen und Kinder verbrannten in dem Feuer, das sich weiter ausbreitete und noch einen ganzen Stadtteil mit 60 Häusern zerstörte. Das geschah 20 Jahre nach Selma. Wie viele Polizisten wurden dafür zu Gefängnisstrafen verurteilt? Sie ahnen es schon: kein einziger.
Obama hätte in seiner Rede vor der Edmund Pettus Bridge in Selma kritisieren können, dass die Polizei bei allen Straftaten Immunität genießt, aber das hätte dem Geist des »Uns geht’s heute besser« seiner Rede geschadet.
Was die Proteste in Ferguson radikalisiert und die Aktivisten zum Aufbau einer Bewegung motiviert hat, war die lange Geschichte polizeilicher Immunität und Straflosigkeit für ihr gewaltsames Handeln gegen die Bevölkerung, auf deren Schutz Polizisten eigentlich vereidigt sind. Das Maß war einfach voll. Deshalb ist uns der »Blutsonntag« von Selma heute näher als wir denken. Die Gewalt von damals ist die gleiche, die uns auch heute noch trifft.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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