Kolumne # 824 vom 4.10.2016: Der Clinton-Putsch
04.10.16 (von maj) Als William »Bill« Clinton an die Hebel der Macht aufstieg, gab es keinen Wandel zum Besseren, sondern als »Recht« maskierte Politik, um dem Staat mehr Macht zu geben und mehr Verurteilungen und längere Haftstrafen zu ermöglichen
Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 236 vom 10. Oktober 2016: Bitte HIER klicken!
Der Clinton-Putsch
Es fällt schwer, sich an die Jahre der Clinton-Regierung zu erinnern, ohne von einer Welle der Erschöpfung erfasst zu werden. Trotz der rosigen Brille, durch die man gern alles Vergangene betrachtet, waren die Jahre von 1993 bis 2001, als Bill Clinton 42. Präsident der USA war, eine Zeit immenser Verluste, ständiger Sorge und gesellschaftlicher Veränderungen, deren Auswirkungen heute nur noch vage wahrgenommen werden. Wir müssen kritisch betrachten, was tatsächlich in dieser Zeit passiert ist, und nicht den Schleier des Vergessens darüber werfen, weil wir nur so die bittere Wahrheit erfahren, dass nicht jeder gesellschaftliche Wandel eine Veränderung zum Besseren ist.
Zur Clinton-Ära, also dem Aufstieg des Herrn Rechtsanwalts William Jefferson »Bill« Clinton an die Hebel der Macht, ist zu sagen, dass es unter ihm einen solchen Wandel gab, der keine Veränderung zum Besseren brachte. Und das geschah nicht aus Versehen, sondern es war geplant.
US-Präsident Clinton hat die größte Veränderung in der Frage des »Habeas-Corpus-Aktes« seit der Ära von Abraham Lincoln zu verantworten. (»Habeas Corpus« ist ein Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, wonach jemand nur aufgrund eines richterlichen Beschlusses in Haft genommen und gehalten werden darf; jW) Lincoln hatte in den Wirren des Amerikanischen Bürgerkrieges die »Habeas Corpus«-Garantien für Unterstützer der separatistischen Konföderation des Südens außer Kraft gesetzt. Ein Gericht ließ Lincoln jedoch im Fall »Billy Milligan« abblitzen, indem es feststellte, dass solange, wie zivile Gerichte angerufen werden können, sie von der Exekutive nicht einfach unter Umgehung der Gesetze durch Militärgerichte ersetzt werden dürfen.
Clinton ging in der Aushebelung der Gesetze indes noch weitaus subversiver vor. Im Zuge des Bombenanschlags auf das Gebäude von mehreren Bundesbehörden in Oklahoma (am 19.4.1995; jW) peitschte Clinton ein Gesetz durch, das als »Antiterrorism and Effective Death Penalty Act« (AEDPA) in die Geschichte einging. Es wurde als Instrument gegen den »Terrorismus« gefeiert und schon in Gesetzesform gegossen, als die Asche des völlig zerstörten Behördenhochhauses in Oklahoma noch heiß war.
Das AEDPA kam jedoch nicht nur gegen den »Terrorismus« zur Anwendung, sondern es wurde als Werkzeug in den alltäglichen, nicht im Zusammenhang mit dem Terrorismus stehenden Fällen und insbesondere in Todesstrafenverfahren eingesetzt. Mit ihm wurde machbar, was kein Gesetz in den fast 700 Jahren der Existenz der »Habeas Corpus«-Garantien im angelsächsischen Rechtssystem ermöglicht hatte: Es gewichtete die Entscheidungen von Staatsgerichten der unteren Instanzen stärker gegenüber jenen der Berufungs- oder Bundesgerichte. Die höheren Gerichte, die aus Richtern bestehen, die vom Präsidenten auf Lebenszeit ins Amt berufen und von einer Mehrheit des US-Senats bestätigt werden und damit ein Richteramt mit Verfassungsrang bekleiden, müssen unter dem AEDPA den Entscheidungen der unteren Gerichte stärker nachgeben, also Richtern, die wie Politiker nur für eine bestimmte Amtszeit gewählt werden.
Durch dieses Gesetz, das Buchstaben und Geist der Verfassung bricht, erhob Clinton die Politik über das Recht zum Nachteil und zur endgültigen Zerstörung des historischen und praktischen Wesensgehaltes des Rechts eines Beschuldigten auf Haftprüfung. Ein Rechtsgut, das Rechtsgelehrte seit mehr als einem Jahrhundert »die große Schrift« nannten.
Deshalb ist »Habeas Corpus« heute ein Hindernisparcours mit vielen Falltüren. Im Ergebnis ist es heute für alle, die vom gefürchteten gefängnisindustriellen Komplex verschlungen werden, schwieriger denn je, der Justiz Verfassungsverstöße erfolgreich nachzuweisen. Mr. Clinton wusste, was seine Regierung mit dem AEDPA anrichten würde, denn Clinton war Juraprofessor! Er schuf ein Werkzeug der Repression, das die »Habeas Corpus«-Garantien aushebelte und die massenhafte Anwendung ermöglicht.
Das war als »Recht« maskierte Politik, um dem Staat mehr Macht zu geben und mehr Verurteilungen und längere Haftstrafen zu ermöglichen. Hat auch nur ein Politiker seitdem verkündet, er werde sich für die Abschaffung des AEDPA-Gesetzes stark machen?
Der 6. Artikel der US-Verfassung bestimmt, dass »die Verfassung und die Gesetze der Vereinigten Staaten das höchste Recht des Landes sind«. Clinton erhob jedoch Entscheidungen gewählter Richter der unteren Staatsgerichte über die Verfassung und brach so den Eid, den er als Jurist geleistet hat – und seinen Amtseid als Präsident der Vereinigten Staaten. Clinton hinterließ als sein Vermächtnis großes Leid und machte aus dem Land ein Gefangenenhaus der Nationen.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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