Kolumne # 828 vom 31.10.2016: Die »Bronx 120«
31.10.16 (von maj) Seit 19. Oktober läuft in New York der Prozess gegen mittlerweile 120 junge Männer, die »Bronx 120«, die seit der Razzia am 27. April als angebliche Mitglieder oder Unterstützer zweier rivalisierender Gangs der »Verschwörung zu organisierter Kriminalität sowie zu Drogen- und Waffendelikten« beschuldigt werden. Gegen Razzia und Prozess fanden Proteste u. a. von Eltern und Nachbarn der Angeklagten wegen »illegitimer rassistischer Unterdrückung« statt. Junge Afroamerikaner und Latinos würden wie »gesellschaftlicher Müll« behandelt, so die Kritik. (jh)
Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 253 vom 31. Oktober 2016: Bitte HIER klicken!
Die »Bronx 120«
Lautes Krachen und Knallen lässt Trommelfelle erzittern, und das Getrampel hastiger Schritte macht Hausbewohnern angst. Paula Clark, eine junge Mutter, wird mit ihren beiden Töchtern durch den Lärm zu früher Stunde brutal aus dem Schlaf gerissen. »Ich dachte, das könnte nur was mit Terrorismus zu tun haben und sonst nichts«, erklärte Clark später gegenüber einem Zeitungsreporter. Sie hatte Recht mit ihrer Vermutung, allerdings handelte es sich um einen Fall von Staatsterrorimus. Dutzende Cops waren in eine Reihe von Mietshäusern eingefallen, als handele es sich bei den dort lebenden Sozialmietern um die Bevölkerung eines fremden Landes, das sie besetzen wollen. Was war der Grund für die Razzia? Die Polizeiführung gab an, die Beamten ihrer Sondereinsatzkommandos seien »auf der Suche nach Gangmitgliedern«. Dazu traten sie Wohnungstüren ein, warfen Blendgranaten in die Räume und bedrohten aufgeschreckte Mütter und Kinder mit vorgehaltenen Waffen.
Die überfallartigen Hausdurchsuchungen fanden Ende April 2016 im »Eastchester Gardens Housing Project« im Stadtteil Williamsburg der New Yorker Bronx statt. Warum? Die Erklärung ist einfach: US-Gerichte haben die berüchtigten »Stop-and-Frisk«-Methoden der New Yorker Polizei für ungesetzlich und verfassungswidrig erklärt, mit denen vorwiegend junge Schwarze und Latinos grundlos auf der Straße angehalten und gefilzt wurden. Die Razzien in den Wohnhäusern waren die Antwort der Cops auf die Beschränkung ihrer Macht auf der Straße. In der laut Polizeibericht »größten Razzia gegen Gangs in der jüngeren Geschichte New Yorks« fielen über 700 Polizisten über die Mietskasernen her. Auch Helikopter und Panzerwagen wurden eingesetzt. Weit mehr als hundert junge Männer wurden in Haft genommen, einige wegen Beschuldigungen, die schon mehr als zehn Jahre zurück lagen.
Sind Gangs aktuell wirklich das große Problem in New York City? Nicht nach Einschätzung der Juraprofessorin K. Babe Howell von der City University of New York. Sie sagt, dass Straftaten, die von Gangs begangen oder mit ihnen in Verbindung gebracht werden, zwischen den Jahren 2000 und 2013 nicht mehr ausmachten als maximal ein bis zwei Prozent der Gesamtkriminalität in der Stadt. Also muss irgend etwas anderes dahinterstecken.
Das North Carolina State Bureau of Investigation, die höchste Sicherheitsbehörde des südlichen US-Bundesstaats, besetzte 1990 in der »Operation Ready-Rock« einen ganzen Häuserblock in der Kleinstadt Chapel Hill. Über 40 militärisch ausgerüstete Polizisten von Sondereinheiten überfielen das Studentenviertel um die Graham Street. Unter dem Vorwand, Crack und Kokain zu suchen, nahmen sie fast 100 schwarze Bewohner fest, von denen am Ende nur gegen 13 Haftbefehl erlassen wurde. Weiße durften den hermetisch abgeriegelten Block unbehelligt verlassen.
Die Betroffenen legten hinterher eine Sammelklage gegen diese Razzia ein. Aber wenn sie diese auch gewannen, war der Schaden beträchtlich und nicht wiedergutzumachen. Denn die Razzia war ein klarer Fall von rassistisch motivierter Polizeiarbeit – nicht anders als der aktuelle Polizeiüberfall in der Bronx. Tatsache ist, dass es in den USA nicht verboten ist, sich zu einer Gang, Bande oder Clique zusammenzuschließen. Der erste Zusatzartikel zur US-Verfassung garantiert ausdrücklich das Recht auf »Vereinigungsfreiheit«. Allerdings gilt die Verfassung offensichtlich dann nicht mehr für dich, wenn du arm bist und in einem sozialen Brennpunkt lebst.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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