Kolumne 873 vom 11.09.2017: Ein Land hinter Gittern11.09.17 (von maj) Der Gefangene Mumia Abu-Jamal über die gesellschaftliche Bedeutung der Strafanstalt und ihre politische Instrumentalisierung
Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 211 vom 11. September 2017: Bitte HIER klicken! Ein Land hinter Gittern Als ich im Dezember 2011 aus dem Todestrakt verlegt wurde, weil das 1982 gegen mich ausgesprochene Urteil von einem US-Bundesgericht aufgehoben wurde, konnte ich meine Kolumnen nicht länger mit dem Hinweis »Live from Death Row – Live aus dem Todestrakt« unterschreiben. Dieser Hinweis auf den Entstehungsort meiner Texte war übrigens auch der Titel meines ersten Buches (1995 in Bremen auf deutsch unter dem Titel »… aus der Todeszelle« erschienen, jW). Nach der Verlegung musste ich mich also um einen neuen Nachsatz kümmern und entschied mich für »From imprisoned nation, this is Mumia Abu Jamal« – »Aus der Gefangenennation, hier spricht Mumia Abu-Jamal«. Als ich mich in meiner neuen Haftsituation befand, wurde mir bewusst, wie unfassbar viele Männer und Frauen eigentlich hinter Gittern saßen. Sie sind buchstäblich eine nach Millionen zählende Nation von Menschen, die ihr Dasein hinter Gittern fristen. Bundesstaat für Bundesstaat haben die Vereinigten Staaten von Amerika große Zahlen ihrer eigenen Bürger eingesperrt. Angetrieben durch eine reaktionäre politische Dynamik entschieden sich die einzelnen US-Bundesstaaten und die Regierung in Washington dazu, auf eine Vielzahl von gesellschaftlichen und sozialen Problemen mit dem Ausbau ihres Gefängnissystems zu reagieren. In einer von den Medien geschürten Atmosphäre der Angst riefen Politiker zum »Krieg gegen Drogen«, »Krieg gegen Gangs« und anderen »Kriegen« gegen jene Gruppen der Bevölkerung auf, die sie als »Mächte der Finsternis« denunzierten. Dazu zählten auch die schwarzen Jugendlichen in den Ghettos des Landes, die öffentlich als »Superraubtiere« gebrandmarkt wurden. Wer erinnert sich noch an die Zeit, als sogenannte Sozialwissenschaftler unter der Regierung des ehemaligen US-Präsidenten William »Bill« Clinton von 1993 bis 2001 mit ihren sogenannten wissenschaftlichen Studien Politikern wie Clinton und seiner Frau Hillary ein Instrumentarium an die Hand gaben, mit dem sie die Inhaftierung bestimmter Gruppen besser rechtfertigen konnten? Seitdem wurden Tausende und Abertausende zu immer längeren Haftstrafen in die Kerker der Staats- und Bundesgefängnisse verbannt. Aber auch die, die ihre Strafen abgesessen hatten und es schafften, ein Leben danach zu beginnen, wurden von Gesellschaft und Politik vor neue Schranken gesetzt. Berufliche Perspektiven, Bildung und Wahlrecht (in den Bundesstaaten Arizona, Florida, Iowa und Nevada; jW) bleiben ihnen als einfachste Voraussetzungen für einen Neustart verwehrt. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass Gefangene auch nach ihrer Entlassung in Armut und sozialer Ausgrenzung leben müssen. Es überrascht somit nicht, jene Menschen als Kleinkriminelle, Dealer oder Drogenkonsumenten noch ein zweites Mal in der wohlvertrauten Hölle begrüßen zu dürfen. Angela Davis, die selbst Anfang der Siebziger Jahre als politische Gefangene in Haft saß, konnte später als Hochschulprofessorin große Erfolge verzeichnen, als sie Theorien zur Abschaffung von Strafanstalten lehrte. Im Jahr 2003 veröffentlichte Davis ihr Buch »Are Prisons Obsolete?« (dt. 2004: »Eine Gesellschaft ohne Gefängnisse? Der gefängnisindustrielle Komplex der USA«). Darin formuliert Davis, konkret wie scharfsinnig, jene Fragen, auf die wir alle eine Antwort finden müssen: Auf diese Frage kann und muss von uns allen eine Antwort gefunden werden: Ist es nicht längst an der Zeit, die »Gefangenennation« abzuschaffen? Oder, wie Angela Davis die Frage formulierte: Brauchen wir Gefängnisse wirklich? Oder gehören sie schlichtweg der Vergangenheit an? |
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