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Kolumne 1.004 vom 14.04.2020: Was heißt hier Lockdown?

14.04.20 (von maj) Coronavirus in US-Knästen: Die Masseninhaftierungen sind ein Produkt neoliberaler Politik. Wie soll sie das Problem lösen?

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 87 vom 14. April 2020: Bitte HIER klicken!

Was heißt hier Lockdown?
Seit über einem Monat sind die mehr als 40.000 gefangenen Frauen und Männer in den Staatsgefängnissen des US-Bundesstaats Pennsylvania unter »Lockdown« strikt voneinander abgeschnitten. Was bedeutet »Lockdown« genau? Als ich bis 2011 noch im Todestrakt einsaß, befanden wir Gefangenen uns dort auch permanent unter dem sogenannten Lockdown, der dort auf die kurze Formel »23 plus eins« gebracht wurde. Konkret hieß das, wir waren 23 Stunden in unseren Zellen isoliert, und eine Stunde lang hatten wir »Hofgang«. Allerdings fand dieser »Hofgang« nicht wirklich draußen im Gefängnishof unter freiem Himmel statt, sondern in dem, was wir den »Käfig« nannten: ein kleines Karree aus vier Betonwänden, nach oben verschlossen mit Maschendraht. Nachdem ich schon mehr als zehn Jahre unter diesen Bedingungen im Todestrakt inhaftiert gewesen war, wurde die Formel in »22 plus zwei« geändert.

Aber was wir gerade in Pennsylvania unter den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus als »Lockdown« erleben, geht weit über die beschriebene Abriegelung im Todestrakt hinaus: Egal, ob es die gemeinsamen Mahlzeiten im Speisesaal sind, Besuche von Angehörigen und Freunden, Teilnahme an Gottesdiensten, Unterrichtsstunden oder die Arbeit in den Gefängniswerkstätten – all das findet nicht mehr statt. In den seltenen Fällen, in denen ein Häftling die Zelle verlässt, trägt sie oder er eine Atemschutzmaske aus Papier oder Stoff. Mehrere Bundesstaaten wie zum Beispiel New Jersey sind diesem Beispiel Pennsylvanias gefolgt.

Und dann gibt es neben den Staatsgefängnissen noch die Bezirksgefängnisse, in denen die Überbelegung jetzt zu absolutem Chaos führt. In den Bezirksgefängnissen Pennsylvanias waren vergangene Woche schätzungsweise achtzig Gefangene mit dem Coronavirus infiziert. Im Bundesstaat Illinois steht das größte Bezirksgefängnis der USA, das Cook County Jail. Dort sind jetzt schon 276 Häftlinge und 172 Beamte, zumeist Wärter, positiv auf das Virus getestet worden (Stand Freitag, jW). Zwei Gefangene sind am vergangenen Donnerstag an Covid-19 gestorben. Diese Zahlen spielen das Problem jedoch herunter, da die überwiegende Mehrheit der 4.500 Insassen des Cook County Jail noch nicht getestet wurde.

Und dieses Epizentrum der Pandemie hinter Gittern ist nur ein Bezirksknast, in dem viele »Kurzstrafer« und Untersuchungsgefangene einsitzen! Für einige Männer und Frauen bedeutet die Inhaftierung in diesen Bezirksgefängnissen deshalb nicht nur etwas, das der Isolation im Todestrakt ähnelt. Sie machen jetzt die Erfahrung eines »neuen Todestrakts«, weil die Zelle, in der sie aus unterschiedlichsten Gründen einsitzen, der Ort sein wird, an dem sie höchstwahrscheinlich sterben werden.

Das Problem der Masseninhaftierungen ist so sehr zu einem Bestandteil der US-amerikanischen Lebensweise geworden, dass die dem entgegengesetzte Vorstellung von der »Decarceration«, der Entlassung von Gefangenen zum Schutz von Leben und Gesundheit, wie die Idee eines Verrückten erscheint. Die Wahrheit ist jedoch, dass es auch andere Zeiten gab. Die Geißel der Masseninhaftierungen ist ein Produkt neoliberaler Politik. Und wenn der Neoliberalismus die Ursache des Problems ist, wie soll er dann in der Lage sein, dieses Problem jemals zu lösen?
Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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