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Kolumne 1.054 vom 12.07.2021: Ein Ort des Schmerzes

12.07.21 (von maj) Die nordamerianischen Internate zur Umerziehung indigener Kinder sind Orte des kulturellen und biologischen Völkermords

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 158 vom 12. Juli 2021: Bitte HIER klicken!

Ein Ort des Schmerzes
Für die Mehrheit von uns sind Schulen ein soziales Gut. In der Geschichte einiger Völker war das jedoch nicht immer der Fall. Für Kanadas indigene Ureinwohner, die wir heute immer noch »Indianer« nennen, sind Schulen zu einem Ort des Schmerzes, der Trauer und des Verlusts geworden. Fast ein ganzes Jahrhundert lang waren diese »Residential Schools« genannten Internate Orte, an denen indigene Kinder für die »Sünde«, nicht weiß zu sein, ausgepeitscht, anderweitig bestraft und traumatisiert wurden. Zunächst betrieb der Staat diese Internate, dann übernahm die römisch-katholische Kirche ihre Leitung und verwandelte sie in Orte des Grauens, der Folter und des Todes. Kürzlich wurden auf dem Gelände der ehemaligen Kamloops Residential School in der gleichnamigen Ortschaft in der südwestlichen Provinz British Columbia die Gräber von über 200 indigenen Kindern entdeckt. Nachfolgende Suchaktionen in anderen Regionen Kanadas brachten die sterblichen Überreste Hunderter weiterer Kinder in der Umgebung sogenannter Residential Schools zutage.

Kürzlich las ich ein Buch, das der indigene Anführer George Manuel (1921–1989) zusammen mit dem Journalisten Michael Posluns unter dem Titel »The Fourth World: An Indian Reality« (»Die Vierte Welt: Eine indianische Realität«) bereits 1974 veröffentlicht hatte. 2018 wurde das Buch neu aufgelegt. George Manuel beschreibt darin die Jahre seiner Schulzeit im kanadischen Kamloops-Internat wie folgt:

»Drei Dinge sind mir besonders im Gedächtnis geblieben: Der Hunger, Englisch sprechen zu müssen und wegen meines Großvaters gerufen zu werden. An dem Tag, an dem wir in der Schule ankamen, wurde jedem neuen Jungen ein älterer Schüler als Dolmetscher zugeteilt. Alle Lehrer waren Mönche oder fromme Laienkatholiken. Wir nannten sie ›Brüder‹. Bei meinem ersten Zusammenteffen mit den Brüdern zeigte mir einer einen langen schwarzen Lederriemen und ließ mich durch meinen Dolmetscher wissen: ›Solltest du jemals dabei erwischt werden, dass du indianisch sprichst, wirst du das hier auf deinen Händen zu spüren bekommen.‹«

Orte wie das Kamloops-Internat im kanadischen British Columbia waren zweifellos Schauplätze des Völkermords.
Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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