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Kolumne 1.111 vom 18.12.2023: Demokratie ohne Gitter

18.12.23 (von maj) Wie gelangen wir an diesen Punkt, den wir als »Abschaffung der Gefängnisse« bezeichnen? Was sind die möglichen Wege zur Erreichung dieses Ziels?

Link zum Artikel in junge Welt Nr. 294 vom 18. Dezember 2023: Bitte HIER klicken!

Demokratie ohne Gitter
Wie gelangen wir an diesen Punkt, den wir als »Abschaffung der Gefängnisse« bezeichnen? Was sind die möglichen Wege zur Erreichung dieses Ziels? Wir kommen von fast verlorengegangenen Lehren aus der Geschichte her, geprägt von Generationen von Vorfahren, die ihr ganzes Leben lang für diesen selten zu spürenden Hauch von Freiheit kämpften und sich von ganzem Herzen danach sehnten, dass wir, ihre Nachfahren, eines Tages freie Luft atmen würden. Das Wort »Abschaffung – Abolition« geht auf den langen, harten Kampf gegen die Sklaverei zurück, denn »Abschaffung« meinte ursprünglich die Struktur dieses Systems und den Beginn der Freiheit. Nach der Abschaffung der Sklaverei dämmerte für einen kurzen Moment die Freiheit über dem Land. Aber es war eine Fata Morgana, eine Lüge, die der größeren Lüge von der weißen Überlegenheit diente, die die Menschen in die Dunkelheit von Terror und Tod stürzte, in Wahrheit in eine neue Art der Versklavung, nur unter einem anderen Namen.

Diese unheiligen Ursprünge führen uns zu dem Gespenst der Masseninhaftierung in den USA, einschließlich der zahlenmäßig größten Inhaftierung von Jugendlichen in der Weltgeschichte. Sie führen uns in das gegenwärtige System der Inhaftierung, das Aktivisten zu Recht als »DBI« bezeichnen – »Death by Incarceration – Tod durch Inhaftierung«. Oder, anders ausgedrückt: die von jedem Leben entseelten Verurteilungen zu lebenslanger Haft. In diesen Urteilen zeigen sich die beiden Gesichter des römischen Gottes Janus: die Illusion von Leben symbolisiert gleichzeitig den Tod.

2003 schrieb Angela Y. Davis das Buch »Is the Prison Obsolete?«, das von Seven Stories Press veröffentlicht wurde (deutsch 2004: »Eine Gesellschaft ohne Gefängnisse? Der gefängnisindustrielle Komplex der USA«, Verlag Schwarzer Freitag). Das Buch war seiner Zeit voraus, da es den Leserinnen und Lesern die Vorstellung von der Abschaffung der Gefängnisse nahebrachte. Davis zeigte auf, wie die Abschaffung der Sklaverei zur Einführung des Gefangenenverleihsystems (Convict lease system) führte und die ethnische Spaltung (»Rassentrennung«) beförderte.

In einem anderen Buch mit dem Titel »Abolition Democracy – Beyond Empire, Prisons, and Torture« (2005) erläutert Davis die künftigen Kämpfe für einen freien und tatsächlichen gesellschaftlichen Wandel. Der Philosoph Eduardo Mendieta schrieb in der Einleitung des Buches diese Worte: »Damit eine authentische Demokratie entstehen könne, so argumentiert Davis, müsse zunächst eine demokratische Bewegung die Institutionen abschaffen, die die Vorherrschaft einer Gruppe über eine andere fördern. Die ›Abolition Democracy‹ ist also die Demokratie, die kommen wird, die Demokratie, die möglich ist, wenn wir an die großen Abolitionsbewegungen in der US-amerikanischen Geschichte anknüpfen, die sich gegen Sklaverei, Lynchjustiz und Rassentrennung wandten.«

Das Gefängnissystem, ein Relikt ebendieser grausamen Vergangenheit, war der nächste logische Schritt. Davis argumentierte, dass die Systeme der weißen Vorherrschaft, des unbarmherzigen Katholizismus und der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft zu dem Monster geführt haben, das wir heute vor uns sehen: der nach Millionen zählenden Masseninhaftierung von Menschen. Mit dem Aufkommen einer neuen Generation werden Davis' Erkenntnisse studiert und in Ideen umgesetzt, die sich mit dem erdrückenden Schatten des Zuchthaussystems auseinandersetzen. Eine andere Abolitionistin und renommierte Wissenschaftlerin, Ruth Wilson Gilmore, erklärte dazu: »Abolitionismus erfordert, dass wir eine Sache ändern, die alles ist.«

Die Präsenz des Gefängnisses und die Bedrohung durch seine Gegenwart liegen wie ein Alptraum über der Seele der Gesellschaft. Es erschafft nichts, es behandelt nicht, es hilft nicht; es ernährt, aber es verletzt, es verkrüppelt, und, ja, es tötet. Es ist eine Schöpfung der staatlichen Grausamkeit und des Gemetzels. Es ist die Institutionalisierung von Niedertracht, schlicht und einfach. Und Bewegungen, nur soziale Bewegungen können es vom »Throne of Skulls«, dem Herrscherthron, stürzen. Jetzt ist es an der Zeit.
Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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