Kolumne 7.06.03: Der Gipfel der Reichen
09.06.03 (von maj) Gegen den andauernden Krieg gegen die Armen ist globaler Widerstand nötig
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr.131, Pfingsten, 07./08. Juni 2003
Seit nunmehr 29 Jahren trifft sich die »Gruppe der 8« (G-8) in verschiedenen Ländern. Diese Gruppe besteht aus selbsternannten Mitgliedern, die sich als Vertreter der »industrialisierten Demokratien« verstehen, und sie treffen sich, um die ökonomischen Angelegenheiten der Welt zu regeln. Die früheren G-7, bestehend aus Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, dem Vereinigten Königreich, den Vereinigten Staaten und Japan, wurden vor wenigen Jahren durch Rußland erweitert. Sie legen fest, nach welcher Musik das globale Kapital in den kommenden Jahrzehnten tanzen soll. Die G-8 haben sich jetzt in Zeiten des ökonomischen Niedergangs und in einer Aura der Depression im französischen Evian getroffen. Wieder einmal stehen Konsumption und Produktion nicht im Einklang, und das internationale Kapital sieht sich Herausforderungen gegenüber, die es nicht zu lösen bereit zu sein scheint. Kann das globale Kapital die am Horizont lauernden Probleme überhaupt lösen? Vielleicht. Ob es willens ist, wird sich erst zeigen müssen.
Im Juli 2000 trafen sich die G-8 im japanischen Okinawa. Die Gruppe gelobte, den Prozentsatz der in Armut lebenden Teile der Menschheit gegenüber den Zahlen von 1990 weltweit um die Hälfte zu reduzieren. Sie gelobten weiterhin, die Fälle von AIDS-Erkrankungen bis zum Jahr 2010 um 25 Prozent zu senken. Die reichsten Länder der Welt können natürlich geloben, was immer sie wollen, aber werden sie diese Versprechen auch halten? Die angesprochenen Zeiträume sind zwar noch nicht verstrichen, aber es deutet nichts darauf hin, daß der Trend in diese Richtung geht. Die süßen Versprechen, den Reichtum mit den Verdammten dieser Erde zu teilen, scheinen von den Massendemonstrationen gegen die Welthandelsorganisation (WTO - World Trade Organization) in Seattle im Jahr vor dem Okinawa-Gipfel ausgelöst worden zu sein und nicht von einem wie auch immer gearteten Altruismus auf seiten der wohlhabenden Nationen dieser Welt. Seattle enthüllte die Tiefe der Verunsicherung in der US-amerikanischen Psyche angesichts des galoppierenden Tempos der Globalisierung und der Angst, die vom Mangel an gutbezahlten Jobs in der »Neuen Gobalisierungsordnung« ausgelöst wird. Die reichen Staaten, die nichts anderes sind als das Instrumentarium ihrer herrschenden Klassen, sind nur an einem interessiert: ihren Reichtum zu mehren. Für sie sind die Armen, die von Elend und Krankheit Geschlagenen, genauso entbehrlich wie die Obdachlosen, von denen wir in unseren U-Bahnen peinlich berührt den Blick abwenden. Sie sind die moderne Verkörperung der klassischen Romanfigur, die der afroamerikanische Schriftsteller Ralph Ellison für sein Buch »Invisible Man« schuf. Wer in dieser Kultur arm ist, ist unsichtbar. Bis er oder sie anfängt zu kämpfen und sich mit anderen zusammenzuschließen. Seattle hätte zu einem unumstößlichen Beginn der Umkehr werden müssen statt zu einer Hochwassermarke, die uns jetzt an eine vergangene Flut erinnert. Von den Massendemonstrationen hätte ein um sich greifender Ruf nach Veränderung ausgehen müssen statt daß die WTO-Tagung zum Symbol einer vertanen Chance der führenden Nationen wurde.
In diesem Zeitalter des kapitalistischen Triumphalismus, in dem Wissenschaftler wagen, das »Ende der Geschichte« zu proklamieren, fällt den Menschen in den »industrialisierten Demokratien« die Aufgabe zu, sich in den Annalen der Geschichte zu verewigen, indem sie mit einer Tradition des Widerstands beginnen, die den Status quo durchbricht. Die Geschichte endet so lange nicht, wie es Menschen gibt, die entschlossen sind, ihre eigene Geschichte zu schreiben.
Die kapitalistische Wirtschaft ist in der Lage, ungeheure Mengen von Waren zu produzieren, aber sie ist nicht in der Lage, sie alle selbst zu kaufen. Dazu bedarf es der Produzenten, der Männer und Frauen, die gleichzeitig Konsumenten sind. Wenn es sich die Menschen aber nicht mehr leisten können, all die Waren zu kaufen, von denen die Kaufhäuser überschwemmt werden, dann kann diese Art des Wirtschaftens nicht mehr funktionieren. Das heißt in der Konsequenz, daß die Menschen zunächst mit den notwendigen finanziellen Mitteln ausgestattet werden müssen, die sie brauchen, um die produzierten Waren zu erstehen. In diesem andauernden Krieg gegen die Armen braucht die Welt ganz einfach ein Gleichgewicht und eine Perspektive. Habgier und skrupellose Akkumulation dürfen nicht den Ton angeben.
Die G-8 haben sich an dem Ort getroffen, in dessen Namen sich symbolhaft die Chancen der Wohlhabenden widerspiegeln: Evian. Abermillionen Menschen werden sich niemals eine Flasche des kostbaren Evian-Wassers kaufen können, weil sie einen Wochenlohn dafür hergeben müßten - vorausgesetzt, daß sie überhaupt irgendeinen Lohn erhalten. Deshalb wird ein globaler Widerstand gebraucht, der humanistisch geprägt ist und das Leben in seinen Mittelpunkt stellt. Die Antwort auf die Ausplünderung der Welt durch G-8 und WTO muß von einer G-8.000.000.000 - der »Gruppe der 8 Milliarden« - kommen, die die Interessen der großen Mehrheit der Menschheit aller Kontinente, Länder und Volksgruppen respektiert und wahrhaft repräsentiert. Mit einem Bewußtsein, das die Gesamtheit der Menschheit als ebenso kostbar ansieht wie die Bevölkerung eines jeden einzelnenLandes.
Das wäre eine wirkliche »Neue Weltordnung«.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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