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Kolumne 1.112 vom 27.12.2023: Der Geist des Widerstands

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 300 vom 27. Dezember 2023: Bitte HIER klicken!

Der Geist des Widerstands
In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts fanden Schwarze, die den Apartheidstaaten des Südens der USA entflohen, im Norden eine neue Heimat. Nicht immer wurden sie dort mit offenen Armen empfangen, und im Jahr 1919 wurden viele von ihnen von rassistischen Mobs im ganzen Land angegriffen und abgeschlachtet. In der Zeit der Harlem Renaissance schrieb der jamaikanisch-US-amerikanische Schriftsteller Claude McKay ein kraftvolles Gedicht, das bis in unsere Zeit nachhallt, weil es vom Geist des Widerstands kündet. Er nannte es »If We Must Die – Wenn wir sterben müssen«. Der palästinensische Lyriker und Literaturprofessor Refaat Alareer ließ sich von McKays Klassiker inspirieren und schrieb sein Gedicht »If I Must Die«, das ich hier rezitiere:

»Wenn ich sterben muss,

musst du leben,

um meine Geschichte zu erzählen,

um meine Sachen zu verkaufen,

um ein Stück Stoff zu kaufen,

und ein paar Schnüre,

(es soll weiß sein und einen langen Schweif haben)

damit ein Kind, irgendwo in Gaza,

das dem Himmel in die Augen schaut

und auf seinen Vater wartet, der in Flammen aufging –

der niemandem Lebewohl sagte,

nicht einmal zu seinem eigenen Fleisch und Blut,

nicht einmal zu sich selbst –,

den Drachen, meinen Drachen, den du gebaut hast, hochsteigen sieht

und einen Moment lang glaubt, ein Engel sei dort,

der die Liebe zurückbringt.

Wenn ich sterben muss,

soll es Hoffnung bringen,

lass es ein Märchen sein.«

Refaat Alareer (23.9.1979–6.12.2023) war palästinensischer Lyriker, Schriftsteller und Professor für englische Literatur an der Islamischen Universität in Gaza. Seine Wohnung wurde am 6. Dezember 2023 von israelischen Streitkräften mit Laser erfasst und gezielt bombardiert. Professor Alareer und sechs weitere Mitglieder seiner Familie – sein Bruder, seine Schwester und deren vier Kinder – wurden bei der Explosion ausgelöscht.
Übersetzung: Jürgen Heiser

In Mumia Abu-Jamals Heimatstadt Philadelphia kamen am 9. Dezember 2023 Familien und Aktivisten am weltweiten Solidaritätstag für Gaza zusammen, um Drachen mit propalästinensischen Motiven zu bemalen und vor der Skyline der Stadt aufsteigen zu lassen. Die Veranstaltung fand nur wenige Tage nach dem Tod des von der israelischen Armee ermordeten palästinensischen Lyrikers Refaat Alareer statt. In einem seiner letzten Gedichte steht der aus Stoff gebaute Drache als Symbol für die Hoffnung eines Kindes, dessen Vater durch israelische Bomben getötet wurde, dass er mit der Liebe aus den blauen Lüften wiederkehrt, in die sein Drache aufgestiegen ist. Noch im Oktober hatte Alareer dem US-Sender Democracy Now! in einem Interview gesagt: »Wir sprechen von Tausenden und Abertausenden israelischen Bomben und Granaten, die alle Gebiete des Gazastreifens treffen. Die Kinder können nicht schlafen, nicht essen. Die meiste Zeit sind sie einfach nur stumm, schweigen, zitternd vor Angst, manchmal wimmernd, weil die Bomben überall in Gaza so nah sind.«

Warum das so ist, fragt Alareer. »Weil wir uns weigern, unter der Besatzung und in totaler Unterwerfung zu leben. Wir wollen Freiheit.« Als »Genocide Joe« – wie US-Präsident Joseph Biden in den USA von der Solidaritätsbewegung für Gaza genannt wird – Philadelphia zwei Tage nach der Drachenaktion besuchte, um gemeinsam mit Gouverneur Joshua Shapiro Spenden für den Wahlkampf zu mobilisieren, strömten erneut Hunderte im Protest zusammen und forderten Biden auf, einen Waffenstillstand im Gazastreifen zu unterstützen. »Come November, we'll remember«, skandierten die Teilnehmer und schworen, die Biden-Regierung für ihre Unterstützung des Völkermords in Gaza im November 2024 an der Wahlurne zur Rechenschaft zu ziehen. (jh)

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