Kolumne 30.08.03: Ein radikaler Historiker
31.08.03 (von maj) Herbert Aptheker zerstörte den Mythos des »glücklichen schwarzen Wilden«
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 202, 30./31. August 2003
Es gibt verschiedene Arten von Historikern. Einige von ihnen kann man als Hofschreiber bezeichnen. Das sind jene Historiker, die das Hohelied auf ihre mächtigen Herren singen, so wie früher die Griots in West Afrika, die in ihren Erzählungen die Geschichte der Königsgeschlechter überlieferten und Loblieder auf Ruhm und Mythen der Herrscher sangen.
Und es gibt die sozialen Historiker, die die Kämpfe der einfachen Leute und deren Errungenschaften in den Mittelpunkt ihres Interesses stellen.
Herbert Aptheker gehörte zur Schule der letzteren, aber er war noch viel mehr als das: Er unternahm gewaltige Anstrengungen in seiner Forschungsarbeit, die verborgene Geschichte des afrikanischen Widerstandes gegen das Sklavensystem der USA aufzudecken. Seine Arbeit veränderte im besten Sinne des Wortes den Lauf der Geschichte, als er 1943 sein bahnbrechendes Werk »American Negro Slave Revolts« veröffentlichte. Mit dieser historischen Analyse griff er den vorherrschenden Mythos des »glücklichen schwarzen Wilden« an, wie er vorwiegend von weißen Historikern der amerikanischen Südstaaten propagiert wurde. Er entzog der Behauptung, die Schwarzen hätten sich freudestrahlend dem brutalen Regime der Sklaverei unterworfen, jede Grundlage. Aptheker dokumentierte über 250 Sklavenrevolten in den US-Südstaaten und anderen Gebieten, in denen Sklaverei betrieben wurde, und beschrieb andere Widerstandsformen und subversive Akte gegen die Sklavenhaltergesellschaft wie zum Beispiel die organisierte Flucht.
Auch wenn er als redlicher Historiker galt, so war es ihm dennoch nie vergönnt, akademische Auszeichnungen zu erhalten, was sicher im wesentlichen darauf zurückzuführen ist, daß er sich offen zu seiner Mitgliedschaft und zu seiner führenden Position in der Kommunistischen Partei der USA bekannte. Doch trotz der ausgebliebenen formalen Anerkenntnis als Mitglied der Wissenschaften fanden sein Werk und seine unerschütterliche Radikalität Interesse unter Generationen junger Studierender, die von der Kraft und der Geradlinigkeit seiner historischen Arbeit inspiriert wurden.
Er selber hat als junger Mensch bei dem legendären Wissenschaftler und Aktivisten Dr. W.E.B. DuBois studiert und wurde später sein literarischer Nachlaßverwalter. Seine Bewunderung für DuBois war ihm Ansporn während seiner jahrzehntelangen Arbeit an DuBois' schriftlichem Werk. Das wird auch aus einer Antwort deutlich, die er auf die Frage von Manning Marable gab, der wissen wollte, ob er das Multitalent DuBois, der Essayist, Soziologe, Erzieher, radikaler Aktivist und Organisator war, mit einem Wort beschreiben könne. »DuBois?«, antwortete Aptheker, »der war ein Künstler.«
Was würde heute jemand antworten, dem man eine ähnliche Frage über den gelehrten Aptheker stellen würde. Radikaler, Wissenschaftler, Historiker, Mentor oder gar Anwalt? Eine ehrliche Antwort könnte lauten: »Aptheker? Der war ein radikaler Historiker!« Seine Forschung erfaßte nicht Details aus dem Leben der Prinzen und Privilegierten. Er schaute vielmehr genau auf das Leben der Menschen auf der untersten Stufe der US-amerikanischen Gesellschaft - schwarze Sklavinnen und Sklaven - und war erstaunt über die völlig zugeschütteten Beweise, die er über ihren Widerstand gegen das terroristische System weißer Vorherrschaft fand. Er schaute genau hin, wie es denen ergangen war, die in Not und Elend der Sklaverei vegetieren mußten, und erzählte die Geschichten ihres unaufhörlichen Freiheitskampfes.
Sein Beitrag zur Geschichte der Schwarzen, zur Geschichte der USA und zur Menschheitsgeschichte schlechthin ist immens. Sein mehrbändiges Werk »Documentary History of the Negro People«, das er noch kurz vor seinem Tod fertigstellte, wird von der Wissenschaft schon allein wegen der Spanne von 300 Jahren, die es umfaßt, als sein Meisterwerk anerkannt. Für alle, die nicht zu den Spezialisten gehören, die keine Historiker sind, sondern eher durchschnittliche Leserinnenund Leser, gehört eher das bereits erwähnte Buch »American Negro Slave Revolts« zur bevorzugten Lektüre ihrer privaten oder öffentlichen Bibliotheken.
Aptheker schrieb ausführlich über die Maroons, die Gemeinschaften entflohener Sklaven, und wie die weißen Siedler und Sklavenhalter sie unterdrückten: »Im Oktober des Jahres 1823 wurden entflohene Sklaven in der Nähe von Pineville, South Carolina, angegriffen. Einige von ihnen wurden gefangengenommen und mindestens zwei, eine Frau und ein Kind, getötet. Einer der Maroons wurde enthauptet und sein Kopf auf einen Pfahl gespießt und öffentlich als ›Warnung an widerspenstige Sklaven‹ ausgestellt.«
Aptheker war ein meisterhafter Historiker, dessen Forschungsarbeit großen Einfluß auf sein Fach ausübte und alles veränderte, was nach ihm kam. Die Ströme der von ihm beeinflußten Studierenden fließen bis heute wie frisches Wasser in viele Bereiche der Gesellschaft. Wie eine Glocke, die unentwegt schlägt, hallt auch der Ton seines Werkes unaufhörlich nach. Nach 88 Jahren des Studiums und der Forschung, des Kampfes und Widerstandes ist er in diesem Sommer gestorben, aber sein Werk und Vermächtnis wird uns auch in den kommenden Generationen begleiten.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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