Kolumne 18.10.03: Afrikas Alptraum, Afrikas Hoffnung
19.10.03 (von maj) Gegen das Elend des afrikanischen Kontinents hilft nur eins: die politische und soziale Wiedergeburt der »Wiege der Menschheit«
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 243, 18./19. Oktober 2003
»Hiti ndiheagwo kiri.« (Man gibt eine Person nicht zweimal in die Fänge einer Hyäne)
Afrikanisches Sprichwort
Das in den 60er Jahren befreite Afrika war ein Hort der Hoffnung, der für einen Kontinent, der seit Jahrhunderten unter dem europäischen Kolonialismus ausgeblutet war, ein strahlendes Morgen versprach. Doch für Hunderte Millionen Menschen in Afrika blieb diese Hoffnung unerfüllt . Stattdessen geht die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts als ein Alptraum aus Gewalt, Krieg, Verlust und Tod in die Geschichte ein. Und der Alptraum setzt sich fort in den ersten Jahren der Morgendämmerung des 21. Jahrhunderts. Gibt es irgendeine Hoffnung?
All jene, die diese Kolumnen schon längere Zeit verfolgen, werden sich an den kenianischen Menschenrechtsaktivisten und früheren politischen Gefangenen Koigi wa Wamwere erinnern, der ein bemerkenswertes Buch über Kenias Jahre unter den vom Westen gestützten diktatorischen Regimes von Kenyatta und Moi geschrieben hat. In »I Refuse to Die: My Journey for Freedom« (New York 2002) hat Wamwere eine erschreckende Geschichte über die politische Repression und brutale Herrschaft beider Regimes aufgeschrieben. Auch sein jüngstes Buch »Negative Ethnicity: From Bias to Genocide« (New York 2003) ist um die kenianische Situation zentriert, taucht aber tiefer ein in die brennenden Probleme der zwischen den Stämmenden eskalierenden Gewalt und untersucht auf 208 Seiten, was er begrifflich als »negative Ethnie« faßt. Wamwere argumentiert, daß die Unterscheidung in »Ethnien« für sich allein genommen nicht das Problem ist, jedoch würden in verschiedenen afrikanischen Ländern die politischen und ökonomischen Eliten ihre Völker mit der negativen Bestimmung von Ethnie spalten, um ihre Herrschaftsprivilegien zu schützen. Sie würden an den kleinsten gemeinsamen negativen Nenner appellieren: Stamm kämpft gegen Stamm.
Das Ergebnis: Was als Vorurteil auf der persönlichen und kommunalen Ebene beginnt, explodiert in einem offenen Gewaltausbruch zwischen Gemeinden bis hin zu Konflikten zwischen Ländern, die zu unüberbrückbaren Brüchen zwischen den Kontrahenten führen können.
In seinem jüngsten Buch erklärt Wamwere die aktuellen Gewaltausbrüche in Kenia, Nigeria, Sudan, Ruanda, Uganda, Burundi und anderen Brennpunkten der afrikanischen Gegenwart. Wamwere beschreibt, wie die nationalen Eliten die sozialen Unterschiede zwischen verschiedenen Ethnien dazu mißbrauchen, daß die Menschen mit Argwohn auf ihre Nachbarn statt ihren Führungen auf die Finger schauen. Auf diese Weise wird der Nachbarstamm zum »Feind«, niemals der eigene Staat und schon gar nicht die eigene Ausbeuterklasse, die über Regierungsmacht und Privilegien verfügt. Wamwere nennt ein Beispiel:
»Martin Shikuku, ein ehemaliger Abgeordneter des kenianischen Parlaments und Minister der Regierung, sagte oft, wir Afrikaner seien verflucht, weil unser Leiden schon so lange andauere und wir uns gegenseitig haßten und bekämpften. Aber wir Menschen sind alle mit der gleichen Fähigkeit geboren, sowohl Gutes als auch Böses zu tun, und alle tragen den Impuls in sich, den Kampf zu suchen. Doch ist der einzig wirkliche Fluch, unter dem wir leiden, die Habgier unserer Eliten, die zu ihrem eigenen Nutzen Haß und Krieg predigen. Ich habe viele Afrianerinnen und Afrikaner danach befragt, warum wir uns gegenseitig hassen und bekämpfen, und mir wurden zahlreiche Gründe dafür genannt: Streben nach persönlichen und politischen Vorteilen, Kampf um Arbeitsplätze, geschäftliche Konkurrenz, Streit um Land. Ein nigerianischer Freund, der Stammesführer Victor Nwanko, der am 29. August 2002 ermordet wurde - möge seine Seele in Frieden ruhen - drückte es klar und deutlich aus: ›[Negative] Ethnie steht für das persönliche Trachten nach Reichtum durch ein hohes Stammesamt.‹« (Wamwere, »Negative Ethnicity«, S. 68-69)
Auf den ersten Blick wirken die ethnischen Rivalitäten in Afrika auf Afroamerikaner irritierend, weil sie es nicht fassen können, wie es zu solch bitteren und gewalttätigen Konflikten unter den schwarzen Völkern Afrikas kommen kann. Was die Afroamerikaner verloren haben, ist das Wissen um die Bedeutung des Stammes: hier gründet sich die Identität eines jeden Menschen.
Die Lösung? Wamwere ist davon überzeugt, daß der erste Schritt dahin die aufrichtige Anerkenntnis des Problems sein muß, und daß im zweiten Schritt alle denkbaren Vorschläge gemacht und diskutiert werden müssen. Er schlägt den Aufbau multi-ethnischer politischer Parteien und fortschrittlicher gesellschaftlicher Organisationen vor. Er ist Verfechter eines sozialistischen Humanismus, in dessen Mittelpunkt der Respekt eines jeden Menschen seinen Mitmenschen gegenüber stehen sollte. Wamwere befürwortet die Verwirklichung des Traums von Nkrumah, der die Vereinigten Staaten von Afrika gründen wollte, um die Interessen der Clans, Stämme und Ethnien dem Gemeinwohl des größeren Ganzen unterzuordnen. Wamwere spricht sich für nichts Geringeres aus als die Wiedergeburt der altehrwürdigen Wiege der Menschheit - Afrika -, die unabdingbar ist für das Überleben des Planeten.
Koigi wa Wamwere ist ein Verfechter des Lebens.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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