Kolumne 15.11.03: Die Bedeutung der Vereinten Nationen
16.11.03 (von maj) Die Bush-Regierung gerät mit ihrer Irak-Strategie in die Sackgasse und versucht, einen Teil der Bürde auf die UNO abzuwälzen
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 266,15./16. November 2003
Es bleibt unvergessen, wie US-Präsident George W. Bush im September bei einer seiner Fernsehansprachen mit einem spöttischen Lächeln von der fortbestehenden »Relevanz« der Vereinten Nationen beim hehren Kampf gegen den »internationalen Terrorismus« sprach. Unübertroffen auch der geistreiche und weltgewandte Ex-General und heutige US-Außenminister Colin Powell, wie er vor dem Irak-Krieg mit seiner historischen Rede im Sicherheitsrat dafür sorgte, daß seine UNO-»Kollegen« die Augenbrauen hochzogen, als er erklärte, sie liefen Gefahr, in die »Bedeutungslosigkeit« abzugleiten, wenn sie den Blitzkrieg gegen Bagdad nicht absegnen würden. Er präsentierte Landkarten, Tonbandaufnahmen und deutete geheime und von London angeblich auf Herz und Nieren geprüfte »Beweise« an, die zweifelsfrei belegen würden, daß die Irakis über nukleare, biologische und chemische Waffen verfügten, die innerhalb von Minuten einsatzfähig gemacht werden könnten.
Als Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, allen voran Deutschland und Frankreich, das Insistieren der USA, es sei keine Zeit zu verlieren, durchkreuzten, scharten die Vereinigten Staaten das um sich, was Bush die »Koalition der Willigen« nannte.
Kaum sechs Monate später kehrten die USA zu den Vereinten Nationen zurück, sahen sie nun wieder als »relevant« an und ersuchten sie um Unterstützung bei der Verwaltung ihrer Kolonie Irak. Sie verlangen UN-Truppen. Sie verlangen UN-Gelder. Aber sie wollen die Dominanz der USA beibehalten. Der legendäre CBS-Fernsehmoderator der Vietnam-Ära, Walter Cronkite, hat kürzlich erklärt, die USA seien gezwungen, diese bittere Pille zu schlucken.
Es geht jetzt nicht darum, ob die US-Besatzung des Irak richtig oder falsch ist (eine Frage, zu der die UNO, nebenbei bemerkt, faktisch geschwiegen hat), sondern welche Rolle die Vereinten Nationen in diesem Besatzugsregime spielen sollen. Werden sie damit einverstanden sein, als Juniorpartner in einem laufenden Konflikt zu fungieren, der trotz der scharfen Kritik an der Verletzung des Völkerrechts ausgelöst wurde? Wollen die Vereinten Nation nachträglich eine Intervention unterstützen, die damit begann, daß der UNO und weltweit Millionen von protestierenden Menschen ins Gesicht gespuckt wurde? Wird die UNO einen ungerechten Krieg durch den Einsatz von Geld und Menschen legitimieren? Wird die UNO zu einem Instrument, mit dem der Kolonialismus wiederbelebt wird?
Wir werden sehen.
Im Moment sieht es noch so aus, daß Frankreich und Deutschland nicht mit dem Plan der USA einverstanden sind, »Blauhelme« dafür einzusetzen, die US-Besetzung des Irak aufrechtzuerhalten. Aber das kann sich ändern. »Nationen«, so lautet das Sprichwort, »haben keine festen Freunde, nur feste Interessen.« Wenn es sich für Frankreich oder Deutschland als lohnend erweisen wird, werden sie Vergangenheit Vergangenheit sein lassen und dem häßlichen Amerikaner wieder den Bruderkuß geben. Das kann jederzeit passieren.
Mit »lohnend« meine ich natürlich, daß dann, wenn die beiden genannten Länder einen ordentlichen Batzen von den ungeheuren Ölreserven, die aus der irakischen Wüste spudeln, abbekommen können, dann werden die Diplomaten schon einen Weg finden, die geschäftlichen Interessen des deutschen und französischen Kapitalismus gehörig zu vertreten.
George W. Bush hat die Frage nach der Relevanz der Vereinten Nationen zu recht auf höchster Ebene erhoben. Zum Verdruß der US-Regierung hatte sich die UNO im vergangenen Februar nicht einfach ihrem Diktat unterworfen.
Tatsächlich hat die UNO also ihre Relevanz dadurch bewiesen, daß sie sich der Erpressung durch die USA nicht gebeugt hat.
Und weil nun das Besatzungsregime scheitert, weil das irakische Volk seine »Befreier« nicht auf angemessene Weise »würdigt«, wollen die USA die Vereinten Nationen dazu bringen, UN-Truppenkontingente zur Verfügung zu stellen; bevorzugt wären Soldaten von muslimischen Ländern wie Pakistan oder der Türkei, um gegenüber dem irakischen Volk den Eindruck zu erwecken, hier ginge es um eine multilaterale und von der UNO gebilligte Besetzung. Wie vor dem Krieg stehen die Vereinten Nationen wieder vor der Entscheidung: Imperialismus oder Selbstbestimmung.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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