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»Wir werden nicht eher Ruhe geben, bis Mumia Abu-Jamal frei ist«

21.07.04 (von ivk) Rechtsanwalt Robert R. Bryan aus San Francisco vertritt den zum Tode verurteilten Mumia Abu-Jamal als Hauptanwalt im Berufungsverfahren vor den US-Bundesgerichten und wird hier zu den neuesten Entwicklungen der juristischen Auseinandersetzung befragt. Das politische Klima in den USA wirkt sich auf diesen Kampf vor den Gerichten aus. Bryan macht deutlich, daß der Ausgang des Kampfes um Jamals Leben und Freiheit exemplarischen Charakter für Ausweitung oder Abschaffung der Todesstrafe hat. Das Interview wurde bereits am 21. Juli 2004 unwesentlich gekürzt in der jungen Welt veröffentlicht

Ein neuer Gerichtsbeschluß hat das Gerücht aufkommen lassen, die Aussetzung des Hinrichtungsbefehls gegen Mumia Abu-Jamal sei aufgehoben. Was sagen Sie dazu?

Ich hatte ganze zwei Tage damit zu tun, diese Falschmeldung wieder aus der Welt zu schaffen. Es ist notwendig, daß die Öffentlichkeit im Fall meines Mandanten wachsam ist und mobilisiert wird, aber wenn solche Meldungen auf falschen Tatsachen beruhen, dann fügt das unserem Anliegen großen Schaden zu.

Was besagt denn nun der Beschluß des 3. Bundesbezirksgericht vom 29. Juni?

Damit wurde die Aussetzung des Verfahrens vor diesem Bundesberufungsgericht beendet. Es war ausgesetzt, weil Entscheidungen über Anträge meines Mandanten vor dem Staatsgericht abgewartet werden mußten. Um es bildhaft auszudrücken: Wir haben jetzt lange Zeit auf dem Bahnsteig gewartet, und nun setzt sich der Zug wieder in Bewegung und fährt aus dem Bahnhof. Auf der juristischen Ebene kommen die Dinge also wieder in Gang. Das alles berührt aber nicht die Aussetzung der Hinrichtung, die wirksam bleibt, solange noch über Rechtsmittel meines Mandanten verhandelt wird.

Der Beschluß bezieht sich auf ein Urteil des Obersten Bundesgerichts in Washington DC. Können Sie das erläutern?

Am 24. April 2004 hat das Oberste Bundesgericht ein neues Grundsatzurteil gefällt. Diese »Beard-gegen-Banks«-Entscheidung hat den Hintergrund, daß ein anderes Berufungsgericht das Todesurteil gegen George Banks außer Kraft gesetzt hatte, der wegen mehrfachen Mordes seit 20 Jahren in Haft ist. Das Berufungsgericht hatte die Aufhebung des Urteils damit begründet, daß es einen Verstoß gegen eine andere Grundsatzentscheidung im Falle »Mills gegen Maryland« darstelle. Danach müssen die Geschworenen zwingend darüber belehrt werden, daß sie in der Frage mildernder Umstände, durch die ein Todesurteil verhindert werden kann, kein einstimmiges Votum abzugeben brauchen. Das war in Banks' Prozeß nicht geschehen. Das Berufungsgericht entschied deshalb, das Mills-Grundsatzurteil von 1988 sei im Sinne der Verfassung auch rückwirkend auf den Fall Banks aus dem Jahr 1987 anwendbar. Und genau diese rückwirkende Anwendbarkeit hat das neue Grundsatzurteil verneint.

Worin besteht der Zusammenhang zum Fall Abu-Jamal?

Bundesrichter Yohn hat in seinem Urteil vom 18. Dezember 2001 festgestellt, daß das Mills-Urteil auf Abu-Jamals Fall anwendbar ist, weil auch in seinem Prozeß die Jury falsch belehrt und sein Todesurteil erst 1990 rechtskräftig wurde. Dennoch wird die Staatsanwaltschaft das anfechten, und das nicht nur in diesem Fall. Etwa dreißig Gefangene in Pennsylvania sind direkt von dem Banks-Grundsatzurteil betroffen. Auch ihre Geschworenen wurden falsch belehrt, trotzdem werden einige von ihnen in nächster Zeit hingerichtet werden, weil sie das Pech haben, daß ihre Urteile vor 1988 rechtskräftig wurden. Das 3. Bundesbezirksgericht hat Verteidigung und Staatsanwaltschaft am 29. Juni aufgefordert, innerhalb von 30 Tagen Stellungnahmen einzureichen, welchen Effekt das Banks-Urteil nach Meinung beider Parteien auf ihre jeweiligen Berufungsbegründungen hat. Momentan bin ich damit beschäftigt, diesen Schriftsatz zu verfassen. Das wird ein harter juristischer Kampf werden, bei dem es um nicht weniger geht als das Leben meines Mandanten.

Wie stehen in Ihren Augen Mumias Chancen auf ein neues Verfahren?

Auch wenn ich nicht mit den Segnungen göttlicher Prophezeiung ausgestattet bin, will ich versuchen, in die Zukunft zu schauen: Ich bin fest davon überzeugt, daß ich in der skizzierten juristischen Auseinandersetzung obsiegen werde. Wie wir aber wissen, hat sich die Staatsanwaltschaft seit 1981 gefälschter Beweise bedient mit dem Ziel, Mumia Abu-Jamal hinzurichten. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie der Staat versucht, mittels Täuschungen oder Tricks seine Ziele zu erreichen. Mit anderen Worten: Der Zweck heiligt die Mittel. Deshalb muß die Öffentlichkeit sich auch im klaren darüber sein, daß es keine Garantien gibt. Nichts ist wirklich sicher in diesem Leben, und Entscheidungen von US-Gerichten sind ganz besonders schwer vorhersehbar. Vor allem auch deshalb, weil Richter in den USA ihre Ämter aufgrund politischer Entscheidungen bekommen.

Was steht im Mittelpunkt Ihrer Strategie?

Der wesentliche Punkt einer erfolgreichen Verteidigungsstrategie kann nicht sein, nur Mumias Leben zu retten, auch wenn das höchste Priorität hat. Er darf einfach nicht sterben, wir brauchen ihn als Menschen und als Journalisten, das ist klar. Aber wir werden nicht eher Ruhe geben, bis er frei ist. Wir wollen also nicht nur, daß er lebt, sondern auch, daß er seine völlige Freiheit zurückerhält.

Mit einer Umwandlung des Todesurteils in lebenslange Haft würden Sie sich also nicht zufrieden geben?

Niemals. Auch in diesem Fall müßte Abu-Jamal zunächst im Todestrakt bleiben, weil die Staatsanwaltschaft eine solche gerichtliche Entscheidung formal anfechten und in die nächste Instanz gehen würde. Es sind aber andere Szenarien möglich. Wenn die Verteidigung mit ihrem Berufungsantrag bezüglich des Wiederaufnahmeverfahrens unterliegt und die Staatsanwaltschaft Recht bekommt, dann wird Mumia Abu-Jamal hingerichtet. Es ist aber auch denkbar, daß wir unterliegen, zugleich aber auch die Staatsanwaltschaft mit ihren Berufungsgründen scheitert. Dann würde das Urteil [wie von Bundesrichter Yohn 2001 angeordnet] nur im Strafmaß aufgehoben und vor einem Staatsgericht hätte eine neue Jury darüber zu befinden, ob Mumia Abu-Jamal hingerichtet wird oder den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen muß. Das heißt also, auch wenn demnächst vor dem 3. Bundesbezirksgericht die Berufungen beider Seiten abgelehnt werden, wird es eine neue Verhandlung über das Strafmaß geben. Mumia Abu-Jamals Leben wird sich dann auf einem schmalen Grat der Rechtsprechung befinden, und darüber wird wieder vor einem Gericht in Philadelphia entschieden, also in einem sehr unfairen Klima. Drittes Szenario: Setzt sich die Verteidigung allein mit ihrer Argumentation durch, wird der Prozeß ganz von vorne aufgerollt; so, als wäre mein Mandant gerade verhaftet worden. Die Jury müßte dann »schuldig« oder »nicht schuldig« entscheiden. Es sind also mehrere Varianten der juristischen Entwicklung möglich.

Welchen Einfluß hat das derzeitige politische Klima auf die juristische Auseinandersetzung? Wirken sich Regierungspolitik und Präsidentschaftswahlkampf darauf aus?

Die Auswirkungen der aktuellen Regierungspolitik sind furchtbar. Bush ist sicherlich der größte Terrorist der Welt, ganz egal, was über Bin Laden verbreitet wird. Bushs Politik tötet nicht nur überall auf der Welt Menschen, die Bush-Administration ist auch für die immense Umweltzerstörung rund um den Globus verantwortlich. Und obwohl seine Regierungspolitik auf Lügen und Verantwortungslosigkeit gegenüber Mensch und Natur basieren, hat er nach wie vor Rückhalt in der Bevölkerung. Der ist zwar prozentual gesunken, aber immer noch vorhanden. Wir können nur hoffen, daß Bush im November aus dem Amt gewählt wird.

Was würde ein Präsident Kerry anders machen?

Soweit ich das beurteilen kann, ist Kerry gegen die Todesstrafe, abgesehen von der Ausnahme vielleicht, daß es um Terrorismus geht. Andererseits wirbt er als Politiker um Wählerstimmen, und Politiker, die sich zu laut gegen die Todesstrafe aussprechen, werden nicht gewählt. Aber jede Veränderung, die durch die Wahl im November und eine Niederlage von Bush und seiner Bande von Dieben und Betrügern im Weißen Haus zustande käme, wäre eine Verbesserung. Das Klima in den USA ist heute schlimmer als während der McCarthy-Ära. Seit Justizminister John Ashcroft im Amt ist, werden die Menschen im ganzen Land bespitzelt und eingeschüchtert ...

... worüber Mumia Abu-Jamal regelmäßig in seinen Kolumnen berichtet.

Ja, er wendet sich mit allem, was er schreibt, gegen diese Entwicklung. Der Druck, ihn »im Namen des Gesetzes« hinzurichten, geht nicht allein von der Regierung Pennsylvanias aus. Bush, Ashcroft und die ganze Rechte wollen Abu-Jamals Tod, weil dessen journalistische Arbeit für sie eine peinliche Bloßstellung ist. Er hört nicht auf, über die Verbrechen, die diese Herrschaften »im Namen der Demokratie« begehen, zu schreiben. Sie mußten deshalb einsehen, daß es nicht gereicht hat, ihn in den Todestrakt zu sperren, denn er verschafft sich jetzt besseres Gehör als zuvor und wird viel stärker wahrgenommen. Wenn sie ihn also zum Schweigen bringen wollen, müssen sie ihn umbringen. Aus dem momentanen rechtsgerichteten und fundamentalistischen Klima in den USA entsteht deshalb meiner Meinung nach ein viel stärkerer Druck, Mumia Abu-Jamal hinzurichten.

Was kann dagegen gesetzt werden?

Alle, die wir uns für Gerechtigkeit einsetzen und diese Entwicklung umkehren wollen, müssen uns noch mehr ins Zeug legen, uns noch lauter zu Wort melden und dafür kämpfen, Mumia Abu-Jamal zu befreien. Sein Fall ist ein Paradebeispiel dafür, warum die Todesstrafe abgeschafft werden muß. Er soll sterben, weil er schwarz ist, wegen seiner radikalen Ansichten und weil er die Ungerechtigkeit öffentlich anprangert.

Die Revidierung des Unrechtsurteils wäre also auch ein Erfolg im Kampf gegen den US-Export der Todesstrafe nach Afghanistan, Irak und Guantanamo Bay?

Ja, absolut. Diese Verbindungen müssen wir in der Öffentlichkeit deutlich machen.

Interview und Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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