Kolumne 8.09.07: Schatten der Vergangenheit
08.09.07 (von maj) Irak-Krieg für USA verloren. Deshalb verlängern sie ihn und suchen Schuldige für die Niederlage
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 209 - 8./9.09.2007
Es ist schon fast ein Allgemeinplatz zu sagen, daß der Irak-Krieg nicht geführt wird, um militärisch gegen »Terroristen« und »Extremisten« oder Al Qaida vorzugehen. Die USA kämpfen in diesem Krieg abseits von ihren materiellen Interessen gegen ein Gespenst der Vergangenheit, konkret gegen die Alpträume, von denen die mächtigen US-Eliten seit ihrer Niederlage in Vietnam verfolgt werden. Die Irakis – Sunniten, Schiiten und Kurden – sind die Bauernopfer in einem blutigen Schachspiel, das begonnen wurde, um die Erinnerung an die Niederlage auszulöschen und in den Köpfen an ihre Stelle einen vermeintlich »schnellen Sieg« zu setzen. Aber der Irak-Krieg ist verloren. Politisch schon lange, militärisch ist es nur noch eine Frage der Zeit. Und deshalb hallt schon eine Weile ein Flehen durch das Weiße Haus und das Pentagon, das in dem Satz zusammengefaßt werden könnte: »Oh Gott, laß uns bitte kein weiteres Vietnam erleben!«
Peter Galbraith, US-Diplomat und leidenschaftliche Kritiker der heutigen US-Regierung, empfindet genauso. Er gehört zu den Befürwortern einer Teilung Iraks, zieht öffentlich Parallelen zwischen dem Debakel in Irak und jenem in Vietnam und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Er kritisiert nicht nur, wie der Krieg geführt wird, sondern auch, wie Regierungsmitglieder Ängste schüren, um den Krieg zu verlängern. In der New York Review of Books vom 16. August 2007 führte er dazu aus:
»Der Irak-Krieg ist verloren. Natürlich sind weder der Präsident noch die intellektuellen Architekten des Krieges in der Lage, das zuzugeben. Aber dennoch prägt das Gespenst der Niederlage ihr Denken über das weitere Vorgehen. Der Krieg wird nicht mehr darüber definiert, welchen Nutzen ein Sieg bringen würde – einen stabilen irakischen Staat, den Vormarsch der Demokratie im Mittleren Osten, den Zusammenbruch der ›Schurkenstaaten‹ Iran und Syrien –, sondern nur noch über die Folgen einer Niederlage. Wie Präsident Bush es gesagt hat: ›Die Konsequenz aus einer Niederlage in Irak wären Tod und Zerstörung im Mittleren Osten und hier in Amerika.‹ Dementsprechend beharren die intellektuellen Kriegstreiber zwar noch darauf, daß der militärische Vorstoß in Irak im Gange sei, sie suchen aber bereits nach Schuldigen, die sie für die Niederlage verantwortlich machen können. Sie schießen sich schon auf ihr Ziel ein: das amerikanische Volk. Im Weekly Standard schrieb Tom Donnelly, ein Mitarbeiter des neokonservativen American Enterprise Institute: ›Jene, die den Krieg bereits verloren geben – nennen wir sie die Clinton-Lugar-Achse –, bauen ihre eigene Front auf. Jeden Meter Bodengewinn in Irak verwandeln sie in einen Bodenverlust an der Heimatfront.‹ Richard Lugar, Senator aus Indiana und moderater Politiker der Republikaner, hatte sich Donnellys Zorn zugezogen, weil er gewagt hatte zu sagen, das amerikanische Volk habe kein Vertrauen mehr in Bushs Irak-Strategie, wie die neuen Mehrheiten der Demokraten in beiden Häusern des Kongresses gezeigt hätten. (Schon die Niederlage in Vietnam wurde mit der fehlenden öffentlichen Unterstützung für den Krieg in Zusammenhang gebracht und nicht mit fünfzehn Jahren falscher Militärpolitik.)«
Die Frage ist also schon nicht mehr, ob die USA sich aus Irak zurückziehen werden oder nicht. Es ist nur noch die Frage, wann. Die Politiker suchen bereits nach dem Sündenbock, dem sie den »Verlust« Iraks anhängen können –als wenn Irak je im »Besitz« der USA gewesen wäre! Für dieses politische Gesindel zählt nicht der Verlust an Menschenleben – Tausende US-Amerikaner, Hunderttausende Irakis –,das Zerstückeln des Landes in drei Teile und die enormen Kosten, die es durch diesen Krieg zu tragen hat. All das ist unbedeutend gegenüber dem Verlust an Macht und Profit. Warum sollte uns das überraschen? Für Macht und Profit ist der Krieg schließlich begonnen worden.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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