Kolumne 22.03.08: Der Terror der Justiz
22.03.08 (von maj) Seit fast 30 Jahren im Knast: Die Opfer eines Polizeiüberfalls auf ein Wohnhaus in Philadelphia
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 69 - 22./23. März 2008
Es ist jetzt fast dreißig Jahre her, daß neun Frauen und Männer der MOVE-Organisation unter falschen Anschuldigungen verurteilt und auf zahlreiche Gefängnisse des US-Bundesstaates Pennsylvania verteilt wurden. Sie wurden als die »MOVE-9« bekannt, sind aber heute nur noch acht Überlebende einer gewalttätigen Polizeiaktion, mit der am 8. August 1978 ihr Gemeinschaftshaus in Westphiladelphia überfallen und zerstört wurde. Ihre Namen sind Phil, Janine, Mike, Debbie, Janet, Eddie, Chuck und Delbert Africa. Sie heißen alle Africa mit Nachnamen, weil sie ihre Sklavennamen abgelegt und sich einen gemeinsamen Familiennamen gegeben haben, der auf den Ursprungskontinent hinweist, aus dem ihre Vorfahren als Sklaven verschleppt wurden. Die neunte der MOVE-9 war Merle Africa, die vor einigen Jahren unter völlig ungeklärten Umständen im Frauengefängnis von Muncy, einem kleinen Ort nahe Williamsport, Pennsylvania, verstorben ist.
In einem äußerst umstrittenen Prozeß, der als das längste Verfahren in die Justizgeschichte Philadelphias eingegangen ist, wurden alle neun 1979–80 wegen gemeinschaftlichen Mordes an dem Polizisten James Ramp verurteilt, der am Angriff auf ihr Haus beteiligt war. Unterschiedslos wurden alle neun Angeklagten, Frauen wie Männer, zur gleichen Strafe verurteilt, obwohl niemand von ihnen wegen Waffenbesitzes angeklagt war und rein faktisch nicht alle gleichzeitig den Polizisten erschossen haben konnten.
Wie zahlreiche meiner Kolleginnen und Kollegen war auch ich als Reporter auf der Pressekonferenz der Polizei am 8. August 1978 anwesend. Nur wenige Stunden danach brachte die Polizeiführung eine Presseerklärung in Umlauf, die eine völlig andere Darstellung der Umstände enthielt, unter denen Polizist Ramp vor dem MOVE-Haus ums Leben gekommen sein soll. Das widersprüchliche Verhalten der Polizeiführung wird verständlich, wenn man weiß, daß es mittlerweile als wahrscheinlich gilt, daß der Polizist im Kreuzfeuer seiner eigenen Kollegen zu Tode kam. Die bei der Erstürmung des Hauses eingesetzten Polizisten haben Hunderte von Magazinen leergeschossen, obwohl es aus dem verbarrikadierten MOVE-Haus keine bewaffnete Gegenwehr gab. Der Verdacht der Manipulation rund um den Tod des Polizisten verstärkt sich noch, wenn man bedenkt, daß das gesamte Haus noch vor Einbruch der Dunkelheit völlig dem Erdboden gleichgemacht wurde. Wann hat man schon einmal eine solch übereilte Beseitigung eines kompletten Tatortes gesehen? Am nächsten Morgen stand anstelle des Hauses demonstrativ nur noch eine Kloschüssel auf dem Grundstück, an die die Polizei ein Schild geklebt hatte: »Wir haben den größten Teil der Scheiße in diesem Viertel beseitigt. Das hier ist für den Rest.«
Wenn es je ein Paradebeispiel für legalisiertes Unrecht gegeben hat, dann war es das Gerichtsverfahren, das auf diese Ereignisse folgte. Nach dem Ende des Prozesses versuchte der vorsitzende Richter Edwin S. Malmed, sein Unrechtsurteil vor den Medien zu rechtfertigen. In einer meiner Sendungen auf Radio WWDB-FM stellte ich Malmed in einem Telefoninterview die Frage, ob er denn wisse, wer von den Angeklagten den Polizisten getötet hat. Seine Antwort, live über den Äther ausgestrahlt: »Ich habe nicht die leiseste Ahnung! Sie bezeichnen sich selbst als Familie, deshalb habe ich sie als Familie verurteilt.«
Es kann keinen Zweifel geben, daß die Überlebenden der Polizeiaktion vom August 1978 heute ausschließlich deswegen noch immer im Gefängnis sitzen, weil sie Mitglieder von MOVE sind. Nach dreißig Jahren müßten die acht Gefangenen nun endlich auf Bewährung freigelassen werden, wenn nicht die Lobby der Polizei und die örtlichen Medien in einer konzertierten Kampagne alles dafür tun würden, das zu verhindern. Nur unsere Solidarität und der Druck der Öffentlichkeit können daran etwas ändern.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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