Mumia Abu-Jamal im Gespräch: »... die Mauern zwischen uns einreißen«16.08.08 (von jW) Zur 400. Kolumne von Mumia Abu-Jamal in junge Welt: Ein Telefongespräch mit dem Gefangenen. Exklusiv aus dem Todestrakt der US-Strafanstalt Greene, Waynesburg/Pennsylvania. /
Interview und Übersetzung: Jürgen Heiser
* junge Welt Nr. 191 - 16./17. August 2008 Mumia Abu-Jamal, Jahrgang 1954, sitzt seit Juli 1982 in der Todeszelle. Das ehemalige Mitglied der Black Panther Party wurde am 9. Dezember 1981 unter dem Vorwurf, in Philadelphia einen Polizisten erschossen zu haben, verhaftet. Fest steht nur, daß er seinen Bruder in einer Verkehrskontrolle vor den Mißhandlungen des weißen Polizisten Daniel Faulkner schützen wollte. Der wirkliche Tathergang wurde gerichtlich nie geklärt. Statt dessen wurde Abu-Jamal im Juli 1982 nach kurzem und rassistisch motiviertem Prozeß zum Tode verurteilt, obwohl er betonte, den Polizisten nicht erschossen zu haben. Seit 1995 kämpft er um die Wiederaufnahme seines Verfahrens. Wöchentlicher jW-Kolumnist ist der politisch engagierte Journalist und Buchautor seit dem 16. Dezember 2000. Heute veröffentlichen wir seine 400. Kolumne in Folge (siehe Seite 6). Anläßlich dieses Ereignisses konnten wir den Gefangenen telefonisch insbesondere zu seiner journalistischen Arbeit im Todestrakt der US-Strafanstalt Greene, Waynesburg/Pennsylvania, befragen. Ein Gespräch über das überwachte Anstaltstelefon dauert maximal 15 Minuten und wird computergesteuert auf die Sekunde abgebrochen. [Computerstimme: Sie erhalten ein R-Gespräch von Mumia Abu-Jamal (Name mit seiner Stimme gesprochen), einem Insassen der staatlichen Strafanstalt von Greene. Wenn Sie die Funktionen Konferenzschaltung oder Anklopfen aktivieren, wird das Gespräch sofort abgebrochen.] Der Anlaß für unser heutiges Gespräch ist, daß in junge Welt am 16. August Ihre 400. Kolumne veröffentlicht wird. Die Leser fragen sich oft, wie es ein Mensch, der seit fast drei Jahrzehnten hinter Gittern sitzt, schafft, so viel zu schreiben und damit so nah am Herzschlag der Zeit ist...? Ich denke, jeder Autor schreibt zuerst und vor allem für sich, aber letzten Endes ist der wichtigste Aspekt, für seine Leserinnen und Leser zu schreiben. Es ist herzerfrischend und verwundert mich in diesen Zeiten geradezu, daß wir die Leser von junge Welt und vergleichbarer Zeitungen und Medien rund um den Globus haben. Wenn ich schreibe, dann denke ich an diese Leserschaft und die Bewegungen, denen sie angehören, und an die Herausforderungen, mit denen sie in dieser Epoche konfrontiert sind. Ich versuche, die Distanz aufzulösen und die Mauern zwischen uns einzureißen. Das ist ein Teil von dem, wie ich an das Schreiben herangehe. Journalisten hasten üblicherweise von Termin zu Termin. Das ist nicht Ihr Problem, aber Sie sind dafür beim Recherchieren und Schreiben völlig auf sich selbst gestellt. In Ihrem Brief an das deutsche PEN-Zentrum, in dem Sie sich für die Lesung aus Ihren Büchern am 17. April 2008 im Berliner Bertolt-Brecht-Haus bedanken, haben Sie gesagt: »Schreiben ist ein einsames Unterfangen.« Wie schaffen Sie es trotzdem, mitten unter uns zu sein und über die akuten Probleme dieser Welt zu schreiben? Ich denke, ich habe tatsächlich den einen Vorteil, wirklich »unabhängig« im besten Sinne des Wortes zu sein. Vor allem hier in den USA haben wir nach der Tragödie des 11. September 2001 hautnah das Versagen des Mainstream-Journalismus erlebt, das Versagen der großen Zeitungen der Vereinigten Staaten und der großen Fernsehsender, die alle zusammen ein Publikum von Abermillionen erreichen. Es war eigentlich das Versagen des gesamten Journalismus, seiner wichtigsten Aufgabe nachzukommen, die Leser und Zuschauer zu informieren, also die gesamte Öffentlichkeit darüber zu informieren, was wirklich in der Welt passiert. Wenn ich »frei« wäre und für eine bürgerliche Zeitung arbeiten würde, dann wäre ich nicht wirklich frei, ich hätte nicht die Freiheit, die Wahrheiten auszusprechen, wie ich es in meiner jetzigen Situation tun kann. Auf welche Informationsquellen können Sie sich stützen? Ich lese, soviel ich kann, auch wenn es weniger ist, als ich gern möchte. Ich erhalte eine Reihe von linken Zeitungen, auch einige bürgerliche Zeitungen wie beispielsweise die New York Review of Books, die New Yorker Sunday Times und auch ein paar Magazine wie beispielsweise Monthly Review. Ich lese diese Blätter aufmerksam, analysiere die Artikel sehr genau und mache mir vor allem ein klares Bild davon, worüber die bürgerliche Presse schreibt. Ich frage mich dann, was die behandelten Themen mit den Kämpfen zu tun haben, die die Leute in den Bewegungen draußen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen führen. Ich frage mich, was ihre Anliegen sind, und versuche, mich dem mit meinem Denken, aber auch mit meinem Herzen so weit wie möglich anzunähern. Ich versuche nachzuempfinden, worum es bei den Problemen und Kämpfen draußen geht. So war es mir möglich, schon vor Monaten über die Welle der Zwangsvollstreckungen im Rahmen der Subprime-Krise zu schreiben, lange bevor es ein Thema in der überregionalen Öffentlichkeit wurde. Dieser Kolumnenbeitrag wurde unter dem Titel »Fest der Obdachlosen« in der Vorweihnachtszeit am 22. Dezember 2007 in der Wochenendausgabe der jW veröffentlicht. Der Bezug zwischen der Geburt des Märtyrers der Christenheit in einem Viehstall und das Elend der wachsenden Zahl der Obdachlosen in den US-Vorstädten drängte sich auf. Sicher. Und daß ich schon so früh darüber schreiben konnte, lag eben nicht daran, daß ich darüber schon viel in den Zeitungen gelesen hätte, sondern weil ich unter anderem den Brief einer verzweifelten jungen Mutter von vier Kindern bekam. Ich werde wohl nie erfahren, warum sie gerade mir einen Brief schrieb ... [Computerstimme: Dieser Anruf kommt aus der staatlichen Strafanstalt Greene] ... aber sie schrieb mir jedenfalls, weil sie sich in einer persönlichen Krise befand. Diese Krise war durch die Zwangsvollstreckung ausgelöst worden, durch die sie ihr kleines Haus und damit das Zuhause ihrer Kinder verlieren sollte. Ihre Zeilen gingen mir sehr nahe, und ich machte das Thema deshalb zum Gegenstand mehrerer Artikel, die ich danach schrieb. Erhalten Sie oft Briefe von Menschen, die einen Artikel von Ihnen gelesen haben? Ja, und sie schreiben mir, weil sie wissen, wofür ich als Autor stehe. Einige Leute vergessen dabei meinen Absender (lacht), also wo genau ich mich hier befinde. Die meisten Leute schreiben mir aus einem Gefühl der Verzweiflung. Sie haben sich vorher schon an bekannte Autoren oder Journalisten gewandt, aber von diesen keinerlei Antwort erhalten. Ich bekomme natürlich auch sehr viele Briefe von anderen Gefangenen, die mir ihre Situation beschreiben. Leider kann ich nur wenigen antworten. Tragen auch Besucher ein Stück des Lebens außerhalb der Gefängnismauern zu Ihnen in den Todestrakt? Natürlich, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich lerne von den Leuten, wenn ich mit ihnen spreche. Ich lerne viel über Alltägliches wie die Preise von Lebensmitteln und die hohen Mieten und was Leute in Großstädten wie Philadelphia heute allein für das Abstellen ihres Autos zahlen müssen. Das sind die Probleme, mit denen sich die Leute herumschlagen, und indem mir meine Besucher davon erzählen, lerne ich selbst viel über das Leben draußen. Ihre Leser lernen umgekehrt aus Ihren Artikeln und Kolumnen. Zum Teil werden die Inhalte gemeinsam diskutiert und zur jeweiligen persönlichen Situation und der ihrer jeweiligen Länder in Beziehung gesetzt. Ist das also der Weg, wie Sie am Anfang gesagt haben, die Mauern zwischen drinnen und draußen niederzureißen, Mauern, die nicht aus Beton gebaut sind? Darum geht es mir, und es ist im Zusammenhang mit meinen Kolumnen in junge Welt ein weiterer wichtiger Punkt. Ich bekomme vielleicht nicht täglich, aber alle zwei Tage Briefe und Postkarten aus Deutschland. Es berührt mich sehr, daß Leute sich die Zeit nehmen, meine Artikel zu lesen. Nicht ganz zufällig schaue ich gerade auf meine Kolumne in der Wochenendausgabe der jW vom 19./20. Juli 2008 mit dem Titel »Dr. Watsons Genlabor«. Wie ist das möglich? Vor einer Stunde wurde mir meine Post ausgehändigt und dabei war diese Ausgabe von junge Welt, die ich in Händen halte. Jemand aus Deutschland hat sie mir zugeschickt. Sie können also die eigenen Artikel auch in Deutsch lesen? Ja, so gut ich kann. Mein Deutsch habe ich mir selbst beigebracht. Die Leser der jW wollen natürlich mehr von Ihren Texten lesen. Sie werden sich aber denken können, daß die Leserschaft dafür eintritt, daß der »Korrespondent aus dem Todestrakt« seine Arbeit endlich als freier Mann verrichten kann. Ja, natürlich. Aber jetzt – hier und heute, in diesem Moment – ist erst einmal das mein Sein, mein Arbeitsplatz und Revier. Wenn ich frei wäre, wären natürlich andere Länder, andere Bereiche, andere Gebiete mein Revier, in dem ich mich bewegen würde. Da wir nur begrenzte Zeit haben, würde ich jetzt gern noch einmal kurz auf die letzte Entscheidung des US-Bundesberufungsgerichts zu sprechen kommen. Danach bleibt der Schuldspruch von 1982 wegen Mordes unangetastet, und es besteht nur die Möglichkeit, daß das Urteil eventuell von einer neuen Jury in lebenslange Haft umgewandelt wird. Vorausgesetzt, die Staatsanwaltschaft setzt sich nicht erneut durch, die Ihre Hinrichtung will. Kam die Gerichtsentscheidung überraschend für Sie? Nun, ich versuche, mich davon nicht überraschen zu lassen, aber ich muß zugeben, daß ich manchmal schon noch überrascht bin. Zunächst einmal muß ich aber betonen, daß man diesen Richterspruch vom 22. Juli korrekterweise nicht als »Entscheidung« bezeichnen kann, denn er war ein klarer Ausdruck des Ausbleibens einer Entscheidung. Die Bundesrichter haben sich untereinander darauf verständigt, daß sich das auf zehn Richter erweiterte Gremium nicht noch einmal gründlich mit meinem Fall befaßt. Wobei es in den Anträgen Ihres Hauptverteidigers Robert R. Bryan ja um die völlige Aufhebung des Schuldurteils vom Juli 1982 geht, weil Sie und Ihre Anwälte vorbringen, das Todesurteil beruhe auf rassistischen Vorurteilen, politischer Einflußnahme und Beweismanipulationen. Entspricht die jüngste Entscheidung denn der gängigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichts? Genau an dem Punkt wird die ganze Sache noch erstaunlicher, wenn man nämlich den Richterspruch nach den eigenen Regeln des Bundesberufungsgerichts beurteilt. Wenn einer der Richter eine abweichende Meinung vertritt, wie im vorliegenden Fall Richter Ambro, der wegen der rassistisch motivierten Ablehnung von schwarzen Jury-Kandidaten durch die Staatsanwaltschaft selbst einen neuen Prozeß für mich fordert, dann war es bis jetzt eigentlich gängige Praxis des Bundesgerichts, daß das erweiterte Richtergremium den Fall noch einmal anhört. Das nun abzulehnen, war ein klarer Bruch des bisherigen Kurses in der Rechtspraxis dieser Richter. Es ist auch ein klarer Bruch ihrer eigenen Regeln, wenn eine Entscheidung getroffen wird, bevor die Gegenseite, der Staat, also die Staatsanwaltschaft ihre Stellungnahme abgegeben hat, wie es jetzt der Fall war. Also doch eine Überraschung angesichts vorangegangener Entscheidungen? Ja, ich war überrascht, aber damit wurde auch etwas offengelegt. Es hätte mich eigentlich nicht überraschen dürfen, aber ich bin immer wieder überrascht, wenn die Justiz ihre eigenen Regeln verletzt, ihre eigenen Grundsatzentscheidungen negiert und gegen die eigenen Gesetze verstößt und damit meine mir angeblich zustehenden Rechte verletzt. Ist also der Rechtsbruch der wesentliche Kern des gesamten Verfahrens seit 1982? Absolut. Das ist von Anfang an durchgängig immer genauso geschehen. Bekommen Sie als Mitglied des PEN-Zentrums der USA in dieser Situation stärkere Unterstützung von Ihrer Schriftstellerorganisation oder von anderen Menschenrechtsorganisationen? Ja, Amnesty International beobachtet meinen Fall kontinuierlich. Und es haben sich bereits einige Journalisten und Autoren an mich gewandt ... [Computerstimme: Es bleiben Ihnen noch 60 Sekunden] ... und ich erfahre wirklich eine sehr beeindruckende Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen des PEN America, die mich sehr tief bewegt. Die Mitglieder des PEN-Zentrums Deutschland waren auch sehr bewegt von dem Brief, den Sie ihnen nach der Lesung vom 17. April im Berliner Brecht-Haus geschrieben haben… [Computerstimme: Sie haben nur noch wenige Sekunden] Die Leitung wird in wenigen Sekunden gekappt. Herzliche Grüße von Redaktion, Verlag und Lesern der jungen Welt … Danke sehr (deutsch)! Liebe Grüße an alle! [Ende des Gesprächs] |
|