Kolumne 16.01.2010: Nicht gestellte Fragen
16.01.10 (von maj) Ungereimtheiten beim angeblichen Anschlag auf ein Flugzeug von Amsterdam nach Detroit. Der »Krieg gegen den Terror« wird auch in Zukunft Attentate nicht verhindern
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 13 – 16./17. Januar 2010
Am 25. Dezember 2009 kam es in den USA zu einer nur knapp verhinderten Flugzeugkatastrophe. So jedenfalls die offizielle Lesart. Auf dem Flug 253 der Northwest Airlines von Amsterdam nach Detroit soll ein junger Nigerianer kurz vor der Landung in der Maschine überwältigt worden sein. Als »Gotteskrieger« habe er geplant, so die Behörden, das Flugzeug mit 278 Passagieren und elf Besatzungsmitgliedern an Bord in die Luft zu sprengen. Dazu soll er versucht haben, eine besondere Art von Weihnachtspäckchen an seinem Körper zu zünden und als Selbstmordattentäter in die Geschichte einzugehen. Die an seinem Körper versteckte »pulverförmige Substanz« soll nach Angaben der US-Ermittlungsbehörden aus etwa 80 Gramm Nitropenta bestanden haben. In Verbindung mit Plastifizierungsmitteln wird Nitropenta als Plastiksprengstoff eingesetzt, beispielsweise unter dem Namen Semtex.
Die Leichtigkeit, mit der es offensichtlich möglich war, das Nitropenta an Bord zu schmuggeln, und die Art und Weise, wie es entzündet worden sein soll, haben Fragen aufgeworfen, wie das alles geschehen sein soll. Doch es gibt auch einige Menschen, die sich nicht fragen, »wie« es passiert ist, sondern »warum«? Warum soll der 23jährige Umar Farouk Abdulmutallab, Sohn einer wohlhabenden und angesehenen nigerianischen Familie, sich auf eine solche Aktion eingelassen haben? Wenn Politiker und Medien nach dem Wie fragen, dann geht es ihnen nur um die Methode. Wenn andere nach dem Warum fragen, dann wollen sie etwas über die Motivation erfahren, die hinter dem Handeln eines Menschen steht.
Wenn ein begüterter junger Mann solch einen Weg wählt, dann sagt das etwas aus über die Leere und Entfremdung des modernen materiellen Lebens. Abdulmutallabs Spuren im Internet verweisen auf ein von Einsamkeit und Isolation geprägtes todlangweiliges Lebensmilieu. Und wenn der Weg der Zerstörung schon für den Sohn einer der wohlhabendsten Familien Nigerias verlockend war, dann sagt das nichts Gutes aus über jene, die zum »Krieg gegen den Terror« aufgerufen haben. Denn es gibt Millionen und Abermillionen von jungen Menschen, die in vielen Ländern der Welt in schlimmster Armut und Machtlosigkeit leben. Unter der Herrschaft feudaler und korrupter Regierungen, die sich nur mit Unterstützung der USA gewaltsam an der Macht halten können. Diese jungen Leute haben noch mehr Gründe als Abdulmutallab, ihr gegenwärtiges Leben als eine unerträgliche Hölle anzusehen. Daß sie endlich losschlagen wollen gegen die Hauptverantwortlichen ihres Elends, selbst wenn sie dabei ihr eigenes Leben verlieren, scheint etwas Naheliegendes zu sein. Vor allem dann, wenn ihnen als Märtyrer die Segnungen ihrer religiösen Glaubensgemeinschaft sicher sind.
Aber bei den Ereignissen um Flug 253 ist auch noch ein anderer Faktor im Spiel, den die Medien geflissentlich ignoriert haben. Im März 2009 hat die Transportation Security Administration (TSA), eine Unterabteilung des US-Heimatschutzministeriums, sich im Internet mit einer öffentlichen Ausschreibung auf die Suche nach einem Dienstleister gemacht, der das Schulungshandbuch für die Mitarbeiter der Behörde überarbeiten und aktualisieren sollte. Das 93 Seiten umfassende Dokument, das monatelang für jeden lesbar im Internet zu finden war, gab nicht nur sensible Details über Methoden der Leibesvisitation und Gepäckdurchsuchung preis, sondern dort wurde auch offenherzig zugegeben, daß nur 20 Prozent des Handgepäcks tatsächlich von Hand durchsucht werden. Außerdem konnte man Muster von Dienstausweisen von Polizisten und gewählten Amtspersonen einsehen, und es wurden Metalldrähte aufgelistet, die bei den Detektoren der Flughafenkontrolle keinen Alarm auslösen. Dieses im Internet frei zugängliche Schulungshandbuch muß für jeden, der die Absicht hat, die von den USA aktuell eingesetzten Sicherheitschecks zu überwinden, eine wahrhaft unerschöpfliche digitale Schatztruhe gewesen sein, ja geradezu eine Einladung mit Goldrand, ungehindert in die Sicherheitsbereiche der Flughäfen hineinzuspazieren! Merke: Solange man in den USA nicht nach dem Warum, sondern immer nur nach dem Wie fragt, wird es weiterhin Überraschungen mit »Mitbringseln« von Leuten geben, die es nicht gut meinen mit der Weltmacht USA.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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