Kolumne 5.06.2010: Um Macht und Einfluß
05.06.10 (von maj) Die Wahrheit über den Afghanistan-Krieg läßt sich am Vietnam-Krieg ablesen
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 127 – 5./6. Juni 2010
Ende April war es 35 Jahre her, daß der Vietnam-Krieg für die USA in heilloser Flucht endete. Dieser Kolonialkrieg ist aus der Erinnerung nicht zu löschen. Aber mit Sicherheit ist er der Krieg, den die Mehrheit der US-Bürger am liebsten für immer vergessen möchte. Das hat für viele ganz persönlich mit der hohen Todesrate unter den eigenen Soldaten und dem Verlust von Freunden und Verwandten zu tun. Das öffentlich vielbeschworene »Vietnam-Trauma« rührt aber vor allem daher, daß die große Militärmacht USA den Krieg in Vietnam verloren hat. Etwas fast Undenkbares war damit geschehen, und alle Welt fragte sich: Wie konnte es nur soweit kommen, daß ein kleines und armes Volk der Dritten Welt eine weltweit gefürchtete Supermacht schlägt? Die Antwort ist simpel: Die Vietnamesen leisteten Widerstand und weigerten sich einfach zu verlieren.
Robert McNamara war von 1961 bis 1968 US-Verteidigungsminister. Er weitete den Krieg gegen Vietnam aus und verstärkte die Truppenzahl auf über eine halbe Million US-Soldaten. Er war ein »hog at war« (Schwein im Krieg) und ließ Tausende Tonnen von Bomben und Napalm auf die Guerillaarmee der Nationalen Befreiungsfront Vietnams werfen, weil er und seine Generäle glaubten, durch einen Abnutzungskrieg würde sich das Problem mit der kleinen Guerillaarmee der Vietnamesen von allein lösen. Doch die Strategen im Pentagon hatten nicht mit der hohen Moral und dem unerschütterlichen Durchhaltewillen ihres Gegners gerechnet, der seine gerechte Sache – die Wiedervereinigung des geteilten Landes auf sozialistischer Basis – nicht verloren geben wollte.
Viele Jahre später, als er schon fast ein Menschenleben weit entfernt war von den Schalthebeln der Macht, zeigte sich der ehemalige Kriegstreiber McNamara in dem 2003 fertiggestellten Dokumentarfilm »Fog of War« (Nebel des Krieges) als Geläuterter, der den Krieg und seine Greuel verdammt. Als McNamara im Film laut über den Zweiten Weltkrieg nachdachte, sagte er: »Wir haben allein in Tokio 100000 japanische Zivilisten verbrannt.« Und fügte dann hinzu, daß der Oberbefehlshaber der massiven Brandbombenangriffe auf 64 japanische Städte, darunter jenen auf Tokio am 9. und 10. März 1945, Major Curtis LeMay, später erkennen mußte, daß das, was er angerichtet hatte, wohl als unmoralisch angesehen worden wäre, wenn er zu den Verlierern des Krieges gehört hätte. Vor dem Hintergrund seiner eigenen Beteiligung an Kriegsverbrechen habe McNamara ihm daraufhin die Frage gestellt, über die heute auch viele Politiker nachdenken sollten: »Was macht eigentlich den Unterschied, daß ihr Handeln erst dann unmoralisch ist, wenn Sie verlieren, und nicht unmoralisch, wenn Sie siegen?«
Der Vietnam-Krieg – von den Vietnamesen der »amerikanische Krieg« genannt – war ein imperialer Krieg, der auf der Basis von Lügen begonnen und mittels Lügen ausgeweitet wurde. Kommt das jemand bekannt vor? Ein Imperium führt Krieg, um sein Gesicht zu wahren und um seine Einflußzonen zu erweitern. Es geht dabei nicht um Demokratie, nicht um »Krieg gegen den Terror« oder um verantwortungsbewußte Regierungsführung oder gar Bekämpfung des Drogenhandels. Es geht schlicht um Macht und die Sicherung weltweiter Einflußsphären. Punkt.
Afghanistan ist heute ein Staat, in dem Drogenbarone das Sagen haben. Die Taliban hätten solche Zustände nicht geduldet. Das Land ist so weit von demokratischen Verhältnissen entfernt, wie man es sich nur vorstellen kann. Und sowohl in Afghanistan als auch im Irak sind die Marionettenregierungen durch Wahlfälschungen an die Macht gekommen. Sind das die Verluste an Menschenleben und Gesundheit und den ganzen Wahnsinn wert?
Übersetzung: Jürgen Heiser
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