Kolumne 10.07.2010: Hymnen der Scheinheiligen
09.07.10 (von maj) Der 4. Juli, der Sieg über die Apartheid in Südafrika und ein Zitat von Frederick Douglass
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 157 – 10./11. Juli 2010
Anläßlich des am 4. Juli in den USA als Nationalfeiertag begangenen amerikanischen Unabhängigkeitstages und vor dem Hintergrund der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika sei an ein Ereignis erinnert, das siebzehn Jahre zurückliegt.
Am 4. Juli 1993 weilte der Vorsitzende des African National Congress (ANC), Dr. Nelson Mandela, in Philadelphia und verlas in einer öffentlich gehaltenen Rede ein Zitat des afroamerikanischen Freiheitskämpfers Frederick Douglass (1817–1895). Douglass, Sohn einer afrikanischen Sklavin, entfloh dem Joch der Leibeigenschaft in die US-Nordstaaten und engagierte sich in Organisationen, die für die Abschaffung der Sklaverei kämpften. Er wurde Herausgeber der Zeitschrift North Star, schrieb Bücher und bekleidete nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg öffentliche Ämter, unter anderem das des Generalkonsuls der USA in der Republik Haiti. Mandela zitierte aus einem Text Douglass’ vom 5. Juli 1852:
»Ach, besäße ich nur das Talent und könnte ich das Ohr der Nation erreichen, ich würde noch heute einen Schwall von beißendem Hohn, donnernden Vorwürfen, vernichtendem Spott und strengstem Tadel sich ergießen lassen! Denn nicht Licht ist vonnöten, sondern Feuer; nicht sanfter Regen, sondern ein Unwetter. Wir brauchen Wirbelstürme und Erdbeben. Die Gefühle der Nation müssen zum Leben erweckt, ihr Gewissen aufgerüttelt, ihre Konventionen erschüttert, ihre Scheinheiligkeit entlarvt und ihre Verbrechen gegen Gott und den Menschen lauthals angeprangert werden!
Welche Bedeutung hat der 4. Juli für einen amerikanischen Sklaven? Ich sage euch, es ist ein Tag, der ihm mehr als alle anderen Tage im Jahr die schreiende Ungerechtigkeit enthüllt, deren ständiges Opfer er ist. Für ihn ist eure Feier ein Schwindel, die Freiheit, derer ihr euch rühmt, lästerliche Ausschweifung, euer Nationalstolz aufgeblasene Eitelkeit. Euer Jubel klingt leer und gefühllos, das Anprangern von Tyrannen wie eine unverschämte Dreistigkeit. Für einen Sklaven sind eure Rufe nach Freiheit und Gleichheit hohles Blendwerk, eure Gebete und Hymnen, eure Predigten und Danksagungen mit all den religiösen Prozessionen und Zeremonien sind für ihn bloßer Pomp, Betrug. Täuschung, Gottlosigkeit und Heuchelei – ein hauchdünner Schleier, der Verbrechen verdecken soll. Auf der ganzen Erde gibt es nicht eine Nation, die entsetzlicherer und blutigerer Taten schuldig wäre als die Menschen dieser Vereinigten Staaten von Amerika just in diesem Augenblick.«
Anlaß für Mandelas Rede in Philadelphia war die Verleihung der Liberty Medal an ihn und den damals noch amtierenden Staatspräsidenten Südafrikas, Frederik Willem de Klerk, mit dem er zusammen auch den Friedensnobelpreis erhalten hatte. Daß neben Mandela gleichzeitig auch der Apartheidpolitiker de Klerk in ihrer Stadt war, bot für die kritische Öffentlichkeit Philadelphias eigentlich schon genug Konfliktstoff, aber die beiden US-Politiker, die den Südafrikanern ihre Auszeichnung überreichten, trugen zusätzlich dazu bei: Ed Rendell, der damalige Bürgermeister und heutige Gouverneur des Bundesstaates Pennsylvania, und der damalige US-Präsident William Clinton. Hunderte schwarze Einwohner Philadelphias demonstrierten deshalb gegen die Veranstaltung und die Anwesenheit de Klerks.
Unter dem Slogan »Wir – das Volk von Philadelphia« gaben die Honoratioren vor, im Namen aller zu sprechen, doch in Wahrheit waren vor allem die schwarzen Bürger der Stadt nicht an der Auswahl der Preisträger der Liberty Medal beteiligt, sonst wäre der Apartheidverfechter de Klerk niemals ausgezeichnet worden. Statt dessen wurden aber gerade jene, von denen viele zwanzig Jahre und mehr gegen das Apartheidsystem gekämpft und sich für Mandelas Freilassung aus politischer Haft eingesetzt hatten, von der Feier ausgesperrt und ihre Proteste dagegen völlig ignoriert. Nicht die einfachen Leute Philadelphias, sondern die Mächtigen und Wohlhabenden der Stadt bestimmten die Feiern. Die Liste der Sponsoren las sich wie ein Auszug aus dem Handelsregister. Denn das offizielle Philadelphia stellte sich auf eine Zukunft ein, in dem die Mehrheit der Schwarzen Südafrikas nach 300 Jahren Unterdrückung durch die weiße Minderheit die Regierungsgewalt übernehmen würde. Dann wollten die US-Konzerne dort Freunde haben, um weiter ihren Geschäften nachgehen und neue Märkte erobern zu können.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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