Kolumne # 520 vom 11.12.2010: Kapitulation ohne Kampf
11.12.10 (von maj) US-Präsident Barack Obama kassiert eine Niederlage nach der anderen
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 290 –11./12. Dezember 2010
Der US-Präsident tritt vor die Fernsehkameras. Was er zu sagen hat, kommt ihm nur stockend über die Lippen und kündet von Kapitulation und Scheitern. Finstere Wolken scheinen ihn zu umgeben und irgendwo am Horizont sucht sein Blick nach einem Silberstreif. Wer alt genug ist und die Fünfzig schon überschritten hat, dem mögen beim Anblick dieses Präsidenten alte Schwarzweißaufnahmen der Fernsehnachrichten in den Sinn kommen, in denen der frühere US-Präsident Lyndon B. Johnson (1963-1969) vor die Kameras tritt, um die letzten chaotischen Ereignisse des Vietnamkrieges zu erläutern.
Heute wie damals ist es so, daß ein Bild mehr sagt als tausend Worte. Und auch wenn der Konflikt, von dem Obama jetzt vor den Medien berichtete, sich nur um einen Steuerdeal drehte und nicht um Krieg, so ging es doch bei dieser Schlacht im US-Kongreß um eins der zentralen Themen unseres gesellschaftlichen Lebens – die Ökonomie. Und in dieser Schlacht hat Obama, dessen Demokratische Partei seit dem Wahldebakel im November die Stimmenmehrheit an die Republikaner verloren hat, gerade eine Niederlage einstecken müssen. Zwei weitere Jahre sollen die von der Vorgängerregierung unter George W. Bush beschlossenen Steuersenkungen für Wohlhabende fortdauern. Zwar wird die bittere Pille durch gnädige Beigaben wie eine Verlängerung der Arbeitslosenunterstützung um dreizehn Monate versüßt, aber was Obama der Öffentlichkeit vorzutragen hatte, war ihm nicht nur als Kapitulation ins Gesicht geschrieben: Im Kampf um die Frage, wer das Sagen hat im Lande, haben die Reichen real eine weitere Runde gewonnen.
Der texanische Demokrat Lyndon B. Johnson zeichnete sich gegenüber seinem späteren Parteifreund Obama vor allem dadurch aus, daß er als geradezu legendärer politischer Nahkämpfer bekannt war, der zehn Jahre im US-Kongreß wirkte. Von 1961 bis 1963 schon Vizepräsident unter John F. Kennedy, wurde er nach dessen Ermordung sein Nachfolger. Auch Johnson nutzte wie sein Vorgänger die politische Macht zu seinem Vorteil, belohnte Freunde und bestrafte Gegner. Politik war für ihn Machtkampf, es ging entweder um Sieg oder Niederlage. Er trieb den Kongreß vor sich her und brachte Gesetzesvorhaben durch, die das Land veränderten. Beispielhaft ist sein Einsatz für die Bürgerrechte. Die Gleichberechtigung der afroamerikanischen Bevölkerung kam einen Schritt voran, indem die Rassentrennung im gesamten Land für illegal erklärt wurde. Die Gesetzesverabschiedungen des Civil Rights Act von 1964 und ein Jahr später des Voting Rights Act sprachen den Schwarzen erstmals verfassungsrechtlich die vollständige Gleichberechtigung bei Wahlen zu. Ein neu eingeführter Gesundheitsschutz umfaßte einerseits Medicare, eine öffentliche Krankenversicherung überwiegend für Rentenbezieher, und andererseits die aus Steuermitteln finanzierte Medicaid, eine Krankenfürsorge für bedürftige Menschen. Johnsons Staatsschiff lief erst in der Außenpolitik auf Grund, als es die Küsten Vietnams erreichte und am zähen Volkswiderstand der nationalen Befreiungsbewegung scheiterte.
Heute sind die Zielsetzungen des Kongresses unklar und seine Entscheidungen unpopulär, weil ständig wechselnde Mehrheiten eher den jeweiligen Parteiinteressen als dem Gemeinwohl dienen. Unter Obama wurden zwar große Gesetzesnovellen wie das über die allgemeine Krankenversicherung verabschiedet, aber bis heute nicht umgesetzt. Im Gegenteil liefen dem Präsidenten bei den Zwischenwahlen im November sogar viele Befürworter dieses Gesetzes wieder davon. Auch Johnson hat nicht alle seine Schlachten gewonnen, aber im Gegensatz zu heute war damals allen klar, daß bei seinen Regierungsvorhaben bis zur letzten Sekunde gekämpft wurde.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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