Kolumne # 549 vom 2.07.2011: »Der Friedhof des Imperiums«
02.07.11 (von maj) Obamas Truppenreduzierung in Afghanistan ist der Anfang vom Ende der US-Besatzung
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 151 – 2./3. Juli 2011
Ein ruhiger und gefaßter US-Präsident verkündete kürzlich den Rückzug eines kleinen Teils der US-Truppen aus Afghanistan, der weniger als zehn Prozent der Gesamttruppenstärke ausmacht.
In seiner bemerkenswert kurzen Ansprache redete Präsident Barack Obama im wesentlichen vom Erfolg. Er belehrte die Afghanen darüber, daß sie nun selbst verantwortlich seien für ihr Territorium und kündigte weitere Truppenreduzierungen an. Ähnliche Erklärungen waren während der letzten US-Kriegseinsätze im Ausland immer wieder zu hören, aber es ist zu bezweifeln, daß je zuvor gesagt wurde, was Obama dieses Mal behauptete: Die USA seien »kein Imperium«. Für Dutzende von Ländern in Asien, Afrika und Lateinamerika, deren Regierungen je nach Laune der USA eingesetzt, mit Waffen aufgerüstet oder gestürzt wurden, müssen seine Worte eine Neuigkeit gewesen sein.
Obamas Rede markiert noch nicht das Ende, aber den Anfang vom Ende. Und dieses Ende unterscheidet sich nicht wesentlich von dem der Besatzungszeit der Sowjetunion in Afghanistan – wenngleich es für die USA langsamer naht. Beide Imperien wurden materiell ausgezehrt und konnten ihren Willen nicht gewaltsam durchsetzen. Nach den Erschütterungen der Finanzkrise von 2008 verfügten die USA nur noch über begrenzte Ressourcen. Hinzu kommt, daß die Unterstützung für die fortgesetzten Kriegseinsätze in den USA schwindet, wie alle Meinungsumfragen belegen. Die nächsten Präsidentschaftswahlen stehen an, und angesichts dramatisch ansteigender Arbeitslosenzahlen könnten Truppenreduzierungen helfen, unzufriedene Wähler der Demokratischen Partei zu reaktivieren.
Präsident Obama behauptete, Al-Qaida verliere an Macht, die Taliban würden klein beigeben und könnten zu Verhandlungen gezwungen werden. Die Taliban sind jedoch weit davon entfernt, klein beizugeben. Denn es ist gerade einmal einen Monat her, daß sie mit Kandahar eine der größten afghanischen Städte angriffen, diese für dreißig Stunden lahmlegten und wichtige militärische Ziele und Regierungsstellen attackierten, ohne auf größere Gegenwehr zu stoßen. Mit Sprengstoffgürteln und leichten Waffen ausgerüstet, griffen mehrere Dutzend Kämpfer den Amtssitz des Gouverneurs, mehrere Polizeigebäude, die Zentrale der Transportpolizei und eine reihe von militärischen Einrichtungen an. Ein Beobachter dieses Angriffs auf Kandahar erklärte hinterher, die Straßen seien von Patronenhülsen übersät gewesen »wie Hagelkörner nach einem Gewitter«. Kandahar ist mehr als nur eine große Stadt – sie ist die größte Stadt im Süden Afghanistans und einer der wichtigsten NATO-Stützpunkte.
Mohammed Umar Sathi, ein Einwohner, wurde am 9. Mai 2011 in der New York Times zitiert. Er stellte die Frage: »Wie konnten sie es nur schaffen, mehrere Gebäude zu besetzen und von dort den in der Nähe gelegenen Gouverneurspalast und die NDS-Niederlassung zu beschießen?« (NDS steht als Abkürzung für den englischen Namen des Nationalen Sicherheitsdirektorats, den afghanischen Inlandsgeheimdienst – d. Red.) Sathi beantwortete seine Frage selbst, indem er erklärte: »Entweder sind die Sicherheitskräfte inkompetent, oder es mangelt ihnen an Koordination untereinander.«
Den Taliban juckt es in den Fingern, den Rückzug der US-Truppen massiv zu befördern, und dann naht die Stunde der Abrechnung. Genau wie Menschen können auch Imperien ermüden. Es kommt nicht von ungefähr, daß Afghanistan »der Friedhof der Imperien« genannt wird.
Übersetzung: Jürgen Heiser
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