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Kolumne # 551 vom 16.07.2011: Eine moderne »Medea«

16.07.11 (von maj) Die Kabelnetzwerke der USA stürzen sich auf den Mordfall Casey Anthony

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 163 – 16./17. Juli 2011

An dieser Stelle sollte eigentlich kein Wort über den Fall Casey Anthony fallen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Ich hielt den Fall der jungen Mutter, die 2008 ihr zweijähriges Kind als vermißt gemeldet hatte, es aber nach den Ergebnissen langwieriger Ermittlungen der Polizei umgebracht haben soll, nicht für eine Geschichte von überregionaler Bedeutung. Das Ganze sah eher nach einer aufgeblasenen Sensationsgeschichte aus, die jetzt, nachdem die Leiche des Kindes gefunden und Casey Anthony unter Mordanklage gestellt worden war, von privaten Kabelnetzwerken als eine Art »Reality Show mitten aus dem Leben« in Umlauf gebracht wurde. Es ging dabei vor allem um Schönheit, Tragik und Sex.
Wäre Casey eine Latina oder Schwarze, dann hätten wir ihren Namen nie erfahren. Aber ein Drama um eine hübsche junge Weiße und ein kleines blauäugiges Mädchen verspricht lukrative Einschaltquoten. Die Chefs der Kabelnetzwerke sprangen gierig auf diese Story wie hungrige Krokodile auf ihre Beute. Von Anfang bis Ende war die Aufbereitung der Story nichts als ein Drama nackter Ausbeutung von Menschenschicksalen. Eine moderne »Medea«-Story, um das Publikum zu schockieren und gleichzeitig zu unterhalten und abzulenken von der wachsenden Gewalt der Verhältnisse des niedergehenden Imperiums.
Euripides schrieb die griechische Tragödie »Medea« über eine Frauengestalt der griechischen Mythologie vor 2400 Jahren. Er brachte damit das schockierende Porträt einer zornigen und rachdurstigen Frau auf die Bühne. Medea liebt und heiratet Jason, Sohn des Königs Aison. Schon bald aber wird ihr Jason untreu und will die Tochter des Königs Kreon heiraten. Medea fühlt sich in Liebe und Ehre gekränkt und beschließt, sich an Jason zu rächen. Sie schickt ihrer Nebenbuhlerin ein vergiftetes Heiratsgewand und tötet sie damit. Dann bringt sie die beiden Söhne um, die sie mit Jason hat.
Das Töten der eigenen Kinder ist ein Trauma der westlichen Psyche. Der Historiker und Psychologe Barry Spector schreibt in seinem Buch »Madness at the Gates of the City« (Wahnsinn vor den Toren der Stadt), daß gerade die US-Gesellschaft in dieser Frage eine Sonderstellung einnimmt. Laut Spector weisen die USA weltweit die höchste Rate von Eltern auf, die ihre eigenen Kleinkinder umbringen. In Zeiten des wirtschaftlichen Niedergangs, in denen das Leben härter wird, sind es die Jüngsten, die zuvorderst zu Opfern werden. Nicht durch durchdrehende und traumatisierte Eltern, sondern durch Sozialsysteme, Regierungen und Bildungseinrichtungen, die Kinder mehr und mehr als »entbehrlich« ansehen. Zunehmend sieht man in ihnen nur noch die künftigen Soldaten, um das koloniale »Hinterland« zu kontrollieren, die Tagelöhner für die Sklavenarbeit und die tödlichen Jobs oder das notwendige Menschenmaterial an Gefangenen für die Knastfabriken des gefängnisindustriellen Komplexes.

Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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