Kolumne # 587 vom 24.03.2012: Slogan für Autoaufkleber
24.03.12 (von maj) Druck und Schikane sind die Grundpfeiler des US-amerikanischen Bildungssystems
Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 72 – 24./25. März 2012
Es geschah Ende Februar in einer High School in Chardon im US-Bundesstaat Ohio: Ein 17jähriger betritt das Schulgebäude. Seine Gefühle sind in Aufruhr. Er zieht eine Waffe und schießt, und nur einen Augenblick später liegen mehrere Schüler verletzt am Boden. Einer von ihnen stirbt sofort, ein weiterer wird die Nacht nicht überleben. Die Opfer sind im Alter des Schützen, eines Jugendlichen, der mit diesem jüngsten Amoklauf in den USA höchstwahrscheinlich seinen letzten Tag in Freiheit verbracht hat. In ersten Meldungen heißt es, der Junge habe so gehandelt, weil er »schikaniert« worden sei. Amokläufe ereignen sich an US-Schulen regelmäßig. Ob der Jugendliche im aktuellen Fall tatsächlich schikaniert worden ist, sei dahingestellt. Die Erfahrung von Druck und Schikane ist für viele Schüler jedenfalls eine auffällige Erscheinung der jüngeren Vergangenheit. In der Folge stürmten haufenweise »Experten« auf die Bühne der Öffentlichkeit, um diese Situation anzuprangern. Konnten sie damit etwas bewirken? Offensichtlich nicht, denn die Amokläufe an den Schulen haben nicht nachgelassen. Wie auch, wenn die Grundstruktur des US-Bildungssystems repressiv ist?
Seit der im Januar 2001 beginnenden ersten Amtszeit des US-Präsidenten George W. Bush bis in die Regierungszeit von Barack Obama hat die Politik die Schulleitungen massiv unter Druck gesetzt. Die Direktoren haben den Druck an die Lehrer und diese ihn an ihre Schüler weitergegeben. Denn Bushs Bildungsgesetz »No Child Left Behind« (Kein Kind soll zurückbleiben) und Obamas davon abgeleitetes Programm »Race to the Top« (Wettlauf an die Spitze) sind Instrumente von staatlicher- und Klassenunterdrückung, die absolut nichts damit zu tun haben, die Bildung zu verbessern, aber alles damit, eine gescheiterte Marktideologie zu befördern, die an der Wall Street wie auch in den Schulen gleichermaßen Schiffbruch erlitten hat.
Die drohenden Konsequenzen ihres Scheiterns vor Augen, werden die Schüler unter diesen Vorgaben mit aller Macht in ihrer Leistungsfähigkeit getestet. Politiker, von denen die meisten ihre eigenen Kinder und Enkelkinder nicht dem öffentlichen Schulsystem aussetzen und sie auf Privatschulen schicken, schaffen Regelwerke, in denen das Scheitern schon vorprogrammiert ist.
Bushs »No Child Left Behind« war eine kaltblütig und zynisch eingesetzte Waffe, die sich vor allem gegen arme Kommunen richtete. Flächendeckend wurden aufwendige Leistungstests eingeführt und Schulen, die dabei schlecht abschnitten, mit dem Entzug von Finanzmitteln bestraft, und den Kommunen wurde angedroht, diese Schulen zu schließen. Dieses Programm war keine Bildungspolitik, es taugte bestenfalls als Slogan für Autoaufkleber.
Indessen führen Länder wie Finnland die Liste der besten Schulsysteme an. Sie weisen die größten Lernerfolge bei Schülern auf, weil sie die Grundelemente des US-Bildungssystems – Druck und Versagen – ausschließen. Diese Länder bilden ihre Lehrer gut aus, behandeln sie mit Respekt und lassen sie ihre Schüler in Gebäuden voller Licht und Farbe unterrichten. Man stelle sich das vor. Lehrer, die gern unterrichten. Schüler, die mit Freude lernen. Was für eine wunderbare Vorstellung!
Übersetzung: Jürgen Heiser
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