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Kolumne # 609 vom 25.08.2012: »J-Roc« starb zu früh

26.08.12 (von maj) US-Verfassungsgericht erklärte Gesetz für verfassungswidrig, das lebenslange Haft für Jugendliche ohne Chance auf Bewährung vorsieht – zu spät für John Carter

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 198 – 25./26. August 2012

Vor Monaten kam ein Film in die Kinos, ein Science-Fiction-Streifen über einen Superhelden von der Erde, der auf einem düsteren Planeten irgendwo im Kosmos gegen Außerirdische kämpft. Als SF-Anhänger interessierte mich diese Geschichte, aber ich hatte nie zuvor etwas über die Titelfigur »John Carter« gehört. Später erfuhr ich, daß der Film auf eine nicht besonders bekannte Romanreihe des Autors Edgar Rice Burroughs zurückgeht, der auch die »Tarzan«-Bücher verfaßt hat.
Während der Film noch dabei war, sein Publikum zu suchen, rang ein anderer John Carter verzweifelt nach Luft, als Gefängniswärter seine Zelle mit Pfefferspray vollpumpten. Dieser wirklich existierende John Carter hat nach seiner Verurteilung wegen Mordes sein halbes Leben in Gefängniszellen des US-Bundesstaates Pennsylvania verbracht, die letzten elf Jahre davon in Isolationshaft. Die Gerichte hatten ihn als Erwachsenen eingestuft, obwohl er zum Zeitpunkt der Tat noch ein Jugendlicher war.
Die traurige Ironie seines Lebens ist, daß dieser John Carter sein Ableben schon vorausgesehen haben muß, als er einen Brief an die Abgeordneten des US-Kongresses schrieb, um sein Wort für die Verabschiedung eines Gesetzes einzulegen, das lebenslange Haft für Jugendliche für ungesetzlich erklären sollte. In seinem Brief vom Juni 2009 schrieb John Carter: »Die Jahre gehen dahin, während ich darum kämpfe, in einer Zelle als Mensch zu reifen und mich zu entwickeln, die für mich mehr und mehr zum Sarg geworden ist. An manchen Tagen bin ich ohne jede Hoffnung, an anderen wieder hochkonzentriert. Aber täglich muß ich mir eingestehen, daß ich nach 14 Jahren Haft nicht mehr wachse. Ich verkomme emotional, psychisch und geistig. Ich lebe nicht, sondern existiere bloß, bis mein Herz aufhören wird zu schlagen, meine Lungen nicht mehr atmen und meine Seele in ihren nächsten Daseinszustand übergehen wird. Gelegentlich frage ich mich, ob das die Form von Verdammung ist, die andere Menschen sich wirklich für Jugendliche wünschen, die in Schwierigkeiten sind? Leben wir nicht in einer Gesellschaft, die an einen barmherzigen Gott glaubt? Aber dieselbe Gesellschaft wendet sich ab und ist unfähig zu vergeben, wenn es um den Fehltritt eines Jugendlichen geht.«
Es gibt Zeugen dafür, daß sich John Carter im »Loch«, seiner Zelle im Isolationstrakt des Staatsgefängnisses von Rockview, Pennsylvania, wegen einer Auseinandersetzung um das Anstaltsessen verbarrikadiert hatte. Bewaffnete Wärter hätten seine Zelle dann angegriffen und mindestens drei volle Ladungen Pfeffergas in den fensterlosen Raum des abgeriegelten Zellentrakts gesprüht. Dabei seien nicht nur seine Augen, seine Nase und Mund verätzt worden, sondern er habe überhaupt keinen Sauerstoff mehr zum atmen gehabt. Danach sei die Zellentür aufgebrochen worden, und die hineinstürmenden Wärter hätten wiederholt mit ihrem Elektroschock-Sturmschild auf ihn eingeschlagen, bis er zu Boden ging. Mitgefangene, die Zeugen dieses Überfalls waren, sagten später aus, der 32jährige sei an seinen Beinen aus der Zelle geschleift worden und sein Kopf sei immer wieder auf dem Boden aufgeschlagen.
Seine Freunde nannten ihn »J-Roc«, aber auf dem amtlichen Totenschein vom 26. April 2012 stand sein richtiger Name John Carter. Der wirkliche John Carter war ein zu lebenslanger Haft verurteilter Jugendlicher, der mit 16 Jahren unter einem Gesetz schuldig gesprochen wurde, das der Oberste Gerichtshof der USA im Fall Miller gegen Alabama am 25. Juni 2012 für verfassungswidrig erklärt hat (mit fünf zu vier Stimmen urteilten die Richter, daß Gesetze, die für Jugendliche als Strafe festlegen, im Gefängnis sterben zu müssen, gegen den achten Verfassungszusatz verstoßen, der grausame Bestrafung verbietet; Anm. d. Red.). »J-Roc« starb leider zu früh, um diese Entscheidung und die Aufhebung seines eigenen Urteils noch erleben zu können.

Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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