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Kolumne # 616 vom 13.10.2012: Bitte kein Aufsehen

13.10.12 (von maj) Zwei Fälle von Kindesmißbrauch beschäftigen derzeit die USA

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 239 – 13./14. Oktober 2012

Viele Menschen im US-Bundesstaat Pennsylvania zeigten sich nach Bekanntwerden des Falls von Jerry Sandusky schockiert und überrascht oder waren von einer morbiden Neugier erfaßt. (Der frühere Kotrainer des Footballteams der Pennsylvania State University wurde am 9. Oktober unter dem Vorwurf, 15 Jahre lang in mindestens 45 Fällen Jungen sexuell mißbraucht zu haben, zu 30 bis 60 Jahren Gefängnis verurteilt; d. Red.). Der Fall warf Fragen auf über das, was passiert war, wie es überhaupt passieren konnte und warum. Aber das soll hier nicht im Zentrum des Interesses stehen.
Es geht mir um den Fall eines jungen Schülers, der verstört und traumatisiert war nach der »Aufmerksamkeit«, die ihm durch Mr. Sandusky zuteil geworden war. Der Junge erzählte seiner Mutter davon, die zunächst intern mit Vertretern der Schulleitung über die Vorkommnisse sprach. Diese Herren ermahnten die Mutter jedoch, »vorsichtig« zu sein, da Mr. Sandusky ein einflußreicher Mann des Pennsylvania State College sei und angeblich die zweitwichtigste Person des Ortes. Ruhig aber bestimmt drangen sie auf die Mutter des Jungen ein, das Vorgefallene »auf sich bewenden zu lassen«.
»Lassen Sie es auf sich bewenden« und »erregen Sie bitte kein Aufsehen«, diese Worte kamen mir im Zusammenhang mit dem Fall von Terry »Butter« Williams wieder in den Sinn, der laut einer kürzlich ergangenen Gerichtsentscheidung als Teenager ebenfalls Opfer sexuellen Mißbrauchs wurde. 1986 waren Williams und ein Mittäter verurteilt worden, einen älteren Mann erschlagen zu haben, der ein Sexualstraftäter war. Williams landete dafür in der Todeszelle, während sein Komplize zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Kürzlich hat eine Richterin am Strafgericht von Philadelphia entschieden, das Todesurteil gegen Williams sei rechtswidrig zustande gekommen. Die Anklagevertreterin der Bezirksstaatsanwaltschaft habe maßgebliche Beweise zurückgehalten, mit denen das Todesurteil hätte verhindert werden können. In der Konsequenz hob die Richterin das Todesurteil auf und ordnete eine neue Gerichtsverhandlung über das Strafmaß an.
Williams’ Verurteilung wegen Mordes jedoch blieb davon unberührt. Und man fragt sich, was wohl passiert wäre, wenn der Schüler des Pennsylvania State College, dem die Erwachsenen gesagt hatten, daß man nichts für ihn tun könne und daß er es »auf sich bewenden lassen« solle, hingegangen wäre und sich an Sandusky gerächt und ihn erschlagen hätte? Es ist absolut möglich, daß auch dieser junge Mann angeklagt und zum Tode verurteilt worden wäre. Das ist sogar mehr als möglich, es ist sehr wahrscheinlich.
Jugendliche, die von älteren Männern, die Macht über sie haben, sexuell ausgebeutet werden, werden zutiefst in ihrer Seele verletzt und tragen vielleicht einen irreparablen Schaden davon. Man darf sie nicht damit abspeisen, »es auf sich bewenden zu lassen«. Denn selbst wenn sie es mit aller Kraft versuchten – diese Wunden würden niemals von allein verheilen.

Übersetzung: Jürgen Heiser

 
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