Aus: junge Welt Nr. 175 – 31. Juli 2013 / Von Jürgen Heiser
Auch acht Tage nach dem Tod des Gefangenen Billy »Guero« Sell im kalifornischen Corcoran-Staatsgefängnis liegt weiter im dunkeln, unter welchen Umständen er in seiner Isolationszelle ums Leben gekommen ist. Durch Aussagen von Mitgefangenen gesichert ist nur, daß er sich seit zwei Wochen am Hungerstreik in den kalifornischen Gefängnissen beteiligt hatte. Das erklärte Ronald Ahnen von »California Prison Focus« gegenüber jW. Ahnen ist einer von sieben Vermittlern, die das Vertrauen der Hungerstreikenden genießen und sich um Verhandlungen mit der Gefängnisbehörde CDCR bemühen, bislang ohne Erfolg. Auch Gouverneur Jerry Brown hüllt sich nach der Rückkehr von seinem Europabesuch weiter in Schweigen.
Ahnen schließt nach Gesprächen mit Sells Zellennachbarn einen Suizid aus, der offiziell als Todesursache genannt wurde. »Die Funktionäre sagen, er habe Selbstmord begangen«, so Ahnen, aber »die Gefangenen, die Sell gut kannten«, würden erklären, daß ein solcher Schritt nicht zu ihm gepaßt hätte. Mittlerweile wisse man zudem, so Ahnen, daß Sell schon Tage vor seinem Tod »medizinische Hilfe gefordert« habe, ohne daß etwas geschehen sei.
Der Tod Sells, zu dem es nach Angaben der Behörden am 22. Juli gekommen war, fiel zusammen mit einer Nachrichtensperre, die das CDCR über alle Haftanstalten verhängte. Kurz nach Sells Tod, den das CDCR jedoch erst sechs Tage später öffentlich machte, meldete die Agentur UPI, die Behörde verweigere »den Medien jeden Kontakt zu den Hungerstreikenden«. Als Grund habe CDCR-Sprecherin Terry Thornton angegeben, der Hungerstreik und die »Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in den Anstalten« erforderten »großen personellen Aufwand«. Erst wenn dies beendet sei, »können wir wieder zulassen, daß Reporter unsere Anstalten besuchen«. Jim Ewert vom Verband der kalifornischen Zeitungsverleger warf den Behörden daraufhin »paranoides« Verhalten vor. Durch den Ausschluß der Medien werde die Öffentlichkeit daran gehindert, sich eine eigene Meinung über die Situation zu bilden. Er plädiere keineswegs dafür, sich auf eine der beiden Seiten zu schlagen, so Ewert, aber »die Leute müssen sich doch zumindest ein eigenes Bild davon machen können, ob die Forderungen der Gefangenen gerechtfertigt sind oder nicht«.
Zu den spärlichen Informationen, die vom CDCR kommen, gehört die Angabe über die Zahl der noch im Ausstand befindlichen Gefangenen mit »1000 Häftlingen«. Am 8. Juli hatten 30000 Insassen der Staats- und Privatgefängnisse den Arbeits- und Hungerstreik aufgenommen. Die von Thornton genannte weitaus geringere Zahl steht allerdings im Widerspruch zu ihrer Aussage über »großen personellen Aufwand«, den der Hungerstreik erfordere. Der löst sich indes auf, wenn man die Kriterien kennt, nach denen das CDCR festlegt, wer im Hungerstreik ist und wer nicht. Nach Erkenntnissen des Aktionsbündnisses »Prisoners Hunger Strike Solidarity« hält das CDCR die Zahl der Streikenden klein, indem es Gefangene, die Getränke zu sich nehmen, nicht mitzählt. Ein Beamter der gerichtlich bestellten medizinischen Betreuung in den kalifornischen Anstalten bestätigte gegenüber der Los Angeles Times offiziell, Häftlinge, »die die Nahrungsaufnahme verweigern, aber Flüssigkeiten trinken«, würden nicht als Hungerstreikende gezählt. Dazu stellte Rechtsanwältin Carol Strickman von der Hilfsorganisation »Gefangene mit Kindern« klar, die Inhaftierten verweigerten nur »feste Nahrung«, es müsse ihnen »im Hungerstreik zugestanden werden, Tee und Elektrolyte zu trinken«.