Aus: junge Welt Nr. 218 – 19. September 2013 / Von Jürgen Heiser
In Charlotte im US-Bundesstaat North Carolina hat am Wochenende ein Polizist einen Autofahrer nach einem Unfall mit zehn Schüssen niedergestreckt. Dessen Anwälte erklärten nun am Dienstag vor Gericht, das Vorgehen sei »gerechtfertigt« gewesen. Selbst die Presse vor Ort konnte das nicht nachvollziehen und brachte die Argumentation der Anwälte mit der personellen Konstellation des Vorfalls in Verbindung: Weißer Polizist schießt auf unbewaffneten Schwarzen.
Jonathan A. Ferrell war auf dem Weg zur Arbeit, als ihm am vergangenen Samstag gegen 2 Uhr 30 Ortszeit doppeltes Pech widerfuhr. Er kam mit seinem Auto außerhalb Charlottes von der Straße ab und prallte so heftig in eine Baumgruppe, daß er sich nur über die Heckscheibe aus dem Autowrack befreien konnte. Er schleppte sich etwa eine halbe Meile zur ersten Behausungen am Ortsrand zurück und klopfte auf der Suche nach Hilfe an die nächstbeste Tür. Damit verwandelte sich sein Unfall in einen Alptraum. Die weiße Bewohnerin öffnete die Tür in Erwartung ihres heimkehrenden Ehemanns, schlug sie aber sofort wieder zu, als sie Ferrell sah. Statt einen Krankenwagen zu rufen, löste sie ihre mit der Polizei verbundene Alarmanlage aus. Nur wenige Augenblicke später preschte ein mit drei Beamten besetztes Polizeifahrzeug heran. Ferrell, immer noch unter Schock, wandte sich nun auf der Suche nach Hilfe den weißen Polizisten zu. Ohne zu fragen zielte der 27jährige Polizist Randall Kerrick mit seinem Elektro-Taser auf ihn. Als Ferrell trotzdem weiter auf ihn zukam, zog Kerrick seine Dienstwaffe, feuerte zehn Schüsse ab und traf dreimal. Ferrell starb noch am Vorfallort.
In ersten routinemäßigen Stellungnahmen der Polizei war noch von einem »angemessenen« Einsatz die Rede. Nach Sichtung der Lage machte Rodney Monroe, Polizeichef des Bezirks Charlotte-Mecklenburg, dann am Nachmittag einen Rückzieher und wertete Kerricks Handeln als »exzessiv und unverhältnismäßig«. Ferrell habe »niemanden bedroht«. Gegen Kerrick wurde ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet, seine beiden Kollegen in den Innendienst versetzt. Kerrick blieb jedoch gegen eine Kaution von 50000 US-Dollar auf freiem Fuß. Am 7. Oktober soll ein Gericht klären, ob ein »hinreichender Tatverdacht« vorliege.
Am Montag ging Ferrells Familie mit einem Vertreter der Bürgerrechtsorganisation NAACP an die Öffentlichkeit und hob den besonnenen Charakter des 24jährigen hervor. Der frühere Footballspieler der A&M University in Florida sei »ein Vorbild für andere« und selbst »immer hilfsbereit« gewesen. Die NAACP nannte das Vorgehen der Polizei »keine Überraschung« angesichts vorheriger Exzesse »rassistisch motivierter Gewalt«. Laut ABC News war Ferrell seit Anfang 2012 das sechste Opfer polizeilichen Schußwaffeneinsatzes im Bezirk Charlotte-Mecklenburg, wovon vier tödlich endeten. In keinem der bisherigen Fälle habe die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben.
In seiner Online-Kolumne »Edge of Sports« kommentierte der Publizist David Zirin die schwache öffentliche Reaktion auf Ferrells Tod: Anders als im Fall des von einem Nachbarschaftswachmann ermordeten Trayvon Martin seien Medien und politisches Establishment bemüht, Todesschützen aus den Reihen der Polizei stets zu schonen und Partei für sie zu ergreifen.