Link zum Wochenendgespräch in junge Welt Nr. 21 vom 25./26. Januar 2014, das aus Platzgründen um ein paar Passagen gekürzt werden mußte:
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Es folgt die ungekürzte Fassung des in jW veröffentlichten Gesprächs:
Jamal Hart (geb. 1971) ist ein Sohn des seit 32 Jahren inhaftierten US-Journalisten und jW-Kolumnisten Mumia Abu-Jamal. Er wuchs bei seiner Mutter Francine Hart auf, hatte aber immer intensiven Kontakt mit Mumia bis zu dessen Verhaftung 1981. In den 1990er Jahren beteiligte sich Jamal Hart an der Solidaritätsbewegung zur Befreiung seines Vaters. 1996 wurde er wegen eines kleineren, wahrscheinlich fabrizierten Vorfalls zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt und erst 2011 freigelassen. Seitdem beteiligt er sich weiterhin an der Solidaritätsbewegung und sprach am 11. Januar auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin. Jamal Hart lebt in der Nähe von Raleigh im US-Bundesstaat North Carolina.
Wie alt waren Sie, als Ihr Vater Mumia Abu-Jamal am 9. Dezember 1981 verhaftet wurde, und wie haben Sie das erlebt?
Ich war damals neun Jahre alt. Meine Mutter weinte sehr viel. Sie ließ uns nicht fernsehen und hielt Zeitungen von uns fern. Wir haben damals viel ferngesehen, aber an den Wochenenden hat sich unser Vater immer viel Zeit für uns genommen und ist mit uns rausgegangen. Und plötzlich war er nicht mehr da. Wir merkten, daß etwas nicht in Ordnung war. Aber unsere Mutter erzählte uns nichts davon, ließ uns nicht fernsehen und hielt Zeitungen von uns fern . Als mir doch eine Zeitung in die Hände fiel, deren Schlagzeile die Frage aufwarf, ob mein Vater ein »Polizistenmörder« sei. Ich zeigte es meiner Mutter und wollte wissen, was denn los sei, aber sie nahm mir die Zeitung weg, riß sie in Stücke und sagte nur, sie habe mir doch verboten, Zeitungen anzuschauen. Wir Kinder hatten also lange Zeit keine Ahnung und besuchten ihn auch nicht im Krankenhaus. Das war eine sehr angespannte Zeit, und unsere Mutter weinte viel. Erst als Vater im Holmesburg-Gefängnis war, dem Stadtgefängnis von Philadelphia, haben wir ihn besuchen können.
Wie war der Kontakt dort im Gefängnis zu Ihrem Vater?
Anfangs war das recht locker, die hatten dort keine strengen Vorschriften. Unser Vater sprach nicht über das, was passiert war, er sagte nur, da würden ein paar Sachen gegen ihn laufen. Er sei jetzt eben hier und müsse erst mal drin bleiben. Es gab für ihn ja keine Freilassung auf Kaution, er blieb also in Untersuchungshaft, was uns aber erst viel später klar wurde. Denn über all das wurde in unserer Familie im Beisein von uns Kindern nicht gesprochen.
Mein Vater war ein sehr aktiver Mann. Ich habe schon sehr früh angefangen zu lesen, war immer schon sehr neugierig, habe Werbetafeln entziffert. Mein Vater gab mir dann ein paar Bücher zum Üben und sagte, ich solle mir Gedanken machen beim Lesen. Er nahm mich auch mit zum Radiosender, wenn er Interviews machte. Alle denken immer, ich sei der kleine Junge auf dem Foto, der auf seinen Schultern sitzt, aber das war mein kleiner Bruder Mazi. Ich war das »rebellische« Kind, wie mein Vater immer sagte. Ich mochte es nie, daß mich jemand einfach so packte und auf seine Schultern setzte. Wenn mein Vater das tat, fing ich an zu schreien und mich dagegen zu sträuben. Mein Vater sagte deshalb über mich, ich sei rebellisch und wolle unabhängig sein. Ich lief also lieber zu Fuß neben ihm, und wenn wir dann zu den Interviews gingen, dann sagte er zu mir: »Weißt du, wer das ist? Das ist »Dr. J« Julius Erving.« (Superstar der Basketballiga NBA 1980/81.) Ich hatte natürlich keine Ahnung, was das für Leute waren, schüttelte nur ihre großen Hände. Mumia hatte immer ein riesiges Reportertonbandgerät dabei und nahm mich dann mit zum Schneiden der Interviews. Und danach sagte er: »Hör dir das an, das wird eine Topstory!«. Mein Vater hat immer versucht, mich dabei zu unterstützen, mich weiterzuentwickeln, Zeitung zu lesen und mich mit politischen Themen auseinanderzusetzen. Mit ihm zusammen passierte immer viel.
Als er dann von der Familie getrennt war, wußten wir, daß da was nicht stimmte. Er liebte es, Spaß zu machen, meine Eltern waren immer fröhlich, lachten viel oder tanzten. Und plötzlich war meine Mutter immer traurig. Mein Vater arbeitete die Woche über, aber am Wochenende hatte er immer Zeit für uns, und wir gingen raus und unternahmen etwas zusammen. Das gefiel uns, und deshalb habe ich ihn natürlich sehr vermißt.
Nach dem Urteil wurde er in den Todestrakt verlegt. Hatte Ihre Familie mit einem Todesurteil gerechnet?
Natürlich nicht! Wir Kinder hatten keine Ahnung, was ein Todestrakt war. Auch über den Vorfall, bei dem er niedergeschossen, fast getötet und dann ins Gefängnis geworfen wurde, hatten wir keinen blassen Schimmer. Auch von Großmutter Edith, Mumias Mutter, kam dazu kein Wort. Wir vermißten ihn aber, und wenn wir Kinder über ihn sprachen, dann sagten die Erwachsenen »Hört auf!« und fingen an zu weinen. Nach einer Weile haben wir dann selbst nicht mehr über ihn gesprochen. Wir wollten unsere Mutter, Großmutter oder Tante schließlich nicht dauernd weinen sehen. Als wir ihn dann besuchen konnten, hat er uns beruhigt und gesagt, das sei nicht schlimm, ihm ginge es gut, und er werde wieder nach Hause kommen. Erst nach Jahren realisierten wir, was wirklich los war. Wir gingen zur Schule, lernten und begriffen mehr und hörten in den Nachrichten, wie alles weiterging, oder ich war bei Freunden zu Hause, und wir sahen fern , und die sagten dann: »Sieh mal, da ist dein Dad.«
Veränderten sich die Besuche durch die Verlegung in den Todestrakt?
Körperliche Kontakte waren von da an unmöglich. Deshalb legte meine Schwester zur Begrüßung immer ihre Hand auf die Trennscheibe. Ich hab das nicht gemacht, weil mein Vater mich tief hier drinnen berührt hat (zeigt auf sein Herz). Ich saß nur da, und dann fragte er mich, ob es mir schlecht ginge. Ich sagte, nein, und dann redeten wir miteinander. Er trug immer Hand- und Fußfesseln, aber das alles bekümmerte uns nicht. Er erzählte mir zum Beispiel von Desmond Tutu und fragte mich, ob ich Maos »rotes Buch« aus China gelesen hätte. Das hatte ich nicht, aber er sagte, du darfst jetzt nicht aufhören zu lesen. Ich antwortete, ich bin doch erst elf Jahre alt, kannst du mir nicht lieber ein Buch mit Gedichten schicken, das andere verstehe ich nicht. »Doch, du kannst das alles verstehen«, sagte er, »du mußt es dir nur in kleine Portionen aufteilen und Schritt für Schritt durchgehen.« Ich hatte all diese Bücher von ihm zu Hause, und nach einer Weile fing ich dann auch an, sie zu lesen. Ich machte große Fortschritte in der Schule, weil mein Vater mich ständig zum Lesen anhielt. So war ich meinen Altersgenossen immer um einiges voraus. Ich mochte Basketball und überhaupt Sport, aber ich liebte es zu lesen, Literatur wurde alles für mich. Das hat mein Vater bewirkt.
Haben Sie damals schon etwas davon mitbekommen, daß sich nach der eher lokalen Unterstützung der ersten Jahre eine internationale Solidaritätsbewegung bildete?
Nein, nicht als wir Kinder waren, weil das alles von uns ferngehalten wurde. Wir haben unseren Vater besucht, das waren lange Anfahrten zu dem Knast ganz im Westen von Pennsylvania. Von Philly (Philadelphia – d. Red.) brauchten wir mit unserem VW-Käfer dafür fünf Stunden. Erst als ich älter wurde, habe ich von der Bewegung etwas mitbekommen. Auch mein Vater war sehr fürsorglich und hat das alles von uns ferngehalten. Er hat mit uns über die Schule geredet. Für uns war nur wichtig, ihn zu sehen und bei ihm aufzutanken, daß es wieder für einen Monat bis zum nächsten Besuch reichte. Von der internationalen Bewegung bekam ich erst etwas mit, als ich 17, 18 war…
…demnach war das so um 1988/89, als von Bremen aus mit der Mobilisierung im deutschsprachigen Raum begonnen wurde, um einen Aufruf aus New York zu unterstützen, der gegen die Absegnung des Todesurteils durch den Obersten Gerichtshof Pennsylvanias gerichtet war.
Wir kannten bis dahin nur das Family & Friends Committee mit Pam Africa in Philadelphia. Dann fingen auch meine Schwester und ich an, Flugblätter zu verteilen. Meine Schwester hatte zuerst Angst, wir könnten Probleme kriegen, aber ich habe sie beruhigt und zu ihr gesagt: Probleme haben wir doch eh schon seit Vaters Verhaftung!
Wann sind Sie in die Solidaritätsarbeit eingestiegen?
Das war in den 1990er Jahren, da war ich schon kein Teenager mehr. Wir haben mit unserem Vater über unsere Aktivitäten gesprochen, und dann wurde 1995 der erste Hinrichtungsbefehl gegen ihn unterzeichnet. Er versuchte trotzdem, uns zu beruhigen, es gehe ihm gut. Wie kann es dir gutgehen, habe ich ihn gefragt, die sind doch dabei, unsere Familie zu zerstören. Erst haben sie dich uns weggenommen, und jetzt wollen sie dich umbringen! Mein Punkt war, daß er unschuldig war, ich wollte die menschliche Seite des Falls herausstellen, wollte allen zeigen, daß er ein guter Vater ist und daß seine Kinder zu ihm stehen. Deswegen habe ich angefangen, öffentlich zu sprechen und habe meine Reden auch selbst geschrieben. Das Family & Friends Committee und das Partisan Defense Committee (PDC) fanden, ich sei zu »idealistisch« und fingen dann auf den Veranstaltungen an, meine Aussagen für die Leute zu erklären. Das und das hätte ich so und so gemeint. Aber ich sagte, nein, ich meine genau das, was ich gesagt habe. Ich weiß genau, wovon ich spreche. Ich war von meinem Vater ja seit meinen Kindertagen an die Kunst des Schreibens herangeführt worden, ich wußte also, was ich tat. Mein Auftreten für meinen Vater war sehr wirksam. Viele Leute wußten gar nicht, daß er schon einen erwachsenen Sohn hatte.
Sie haben den ersten Hinrichtungsbefehl erwähnt, der auch international und in der BRD zu verstärkten Protesten führte, beispielsweise in Berlin zu einer bundesweiten Demo mit über 4000 Teilnehmern. Hat der Aufschwung der internationalen Solidarität auch Einfluß auf Ihre eigene Arbeit gehabt?
Zu diesem Zeitpunkt habe ich die Zeitung des PDC von der Spartakist Arbeiterpartei und Publikationen von anderen Aktivisten gelesen, und die berichteten, die Bewegung sei enorm angewachsen, sogar bis nach Japan. Auch von den Aktivitäten in Deutschland und in Spanien las ich Berichte. Ich wurde dann zu einem Sprecher der Familie für meinen Vater, meine Tante Lydia und meine Schwester Latifah standen mir zur Seite. Mein Radius als Sprecher der Familie war lokal auf New York und Philadelphia beschränkt. Dort mobilisierte damals der Abgeordnete David P. Richardson für den »Million Man March on Washington, D.C.« (der am 16. Oktober 1995 stattfand; d. Red.). Richardson bat mich, am 12. August 1995 auf einer Kundgebung für Mumia vor dem Rathaus von Philadelphia zu sprechen, was ich auch tat. Da strömten mehrere tausend Leute zusammen...
...zwei Tage nach der gerichtlichen Aufhebung des ersten Hinrichtungsbefehls. Die Exekution Ihres Vaters war Anfang Juni von Gouverneur Thomas Ridge für den 17. August 1995 festgesetzt worden...
...ja, und von da an lernte ich Leute von überall auf der Welt kennen, eine große Bandbreite der Bewegung. Ich habe dann mit meinen Vater über meine Idee gesprochen, eine Jugendbewegung zu initiieren, weil ich von vielen Universitäten eingeladen wurde, für ihn zu sprechen. Letztendlich habe ich aber keine Jugendbewegung, sondern meine eigene gegründet, weil ich über das sprechen wollte, was ich wichtig fand. Das war einfach eine andere Strategie. Ich dachte, wenn wir von verschiedenen Blickwinkeln aus aktiv werden, dann erreichen wir Leute aus allen möglichen Gesellschaftsschichten und bringen sie zusammen. Jüngere Leute sind aber anders drauf als wir Älteren, die wir die Dinge lenken. Um sich zu engagieren und sich Gehör zu verschaffen, müssen die Jungen sich selbst zusammenschließen und können sich dann auch besser aufeinander einstellen. Jedenfalls habe ich in der Zeit kapiert, welche internationale Dimension die Bewegung hatte, und wir haben von da an noch entschlossener gekämpft als vorher. Denn zu sehen, wie stark die internationale Unterstützung zunahm, machte uns selbst stärker.
Und mitten in dieser Entwicklung wurden Sie dann selbst verhaftet. Wie kam es dazu?
Das fing schon 1996 an, als ich Mitte zwanzig war und in den USA bei vielen Gelegenheiten öffentlich für meinen Vater sprach. Mir war damals noch nicht klar, wie genau mich staatliche Stellen beobachteten und analysierten, was ich tat. Ich sprach in San Francisco, Chicago, Princeton und anderswo an Universitäten. Aber es waren ja nicht nur Studierende, mit denen ich zu tun hatte, sondern auch Leute von Gewerkschaften, und die einen wie die anderen gaben es dann wieder an andere Einrichtungen weiter, und ich wurde von immer mehr Leuten eingeladen, bei ihnen zu sprechen. Das sagte sich der Staat: Der Typ vermittelt dort auf seine Weise die Geschichte der Vereinigten Staaten. Das ist schlecht. Die Folge war, daß sie mich ins Fadenkreuz nahmen und mir eine Falle stellten.
Ich bin im Ghetto aufgewachsen, da wird man unempfindlich gegenüber Gefahren. Ich war auch viel mit einer kleinen Clique unterwegs, wurde mehrfach festgenommen, seit ich 14 Jahre alt war und damals schon strafrechtlich als Erwachsener eingestuft. Was dann 1996 gegen mich lief, basierte indes auf strategischen Überlegungen. Die sagten sich, wir können den Typ nicht ohne Grund einsperren, wie können wir ihn also am besten loswerden, ohne eine internationale Hysterie auszulösen? Ganz einfach: Wir drehen das so, daß wir ihn als Vorbestraften erneut wegen Waffenbesitzes nach Bundesgesetzen anklagen. Dann brauchten sie mir nur noch eine Knarre unterschieben, und schon war die Anklage perfekt. Der Staatsanwalt frohlockte, darauf stehe minimum 15 Jahre bis lebenslänglich. Es gab kein Opfer, weil ja in Wirklichkeit keine Straftat stattgefunden hatte. Es wurde auch keine Waffe bei mir gefunden, sondern ein Polizist behauptete nach einer Verkehrskontrolle, ich hätte mich gewehrt und ihm im Handgemenge seine Dienstwaffe aus seinem Halfter geklaut. Sie nahmen nicht mal Fingerabdrücke, weil sein Kollege die Aussage bestätigte. Außerdem wurde mein Beifahrer, der unehrenhaft aus der Armee entlassen worden war und auch kein unbeschriebenes Blatt war, nach der Kontrolle vom FBI unter Druck gesetzt, er werde für den Rest seines Lebens in den Knast wandern, wenn er zu meinen Gunsten aussagen würde. Das funktionierte, er ließ sich einschüchtern, und so gab es im Prozeß keinen Entlastungszeugen. Es gab nur die beiden Polizisten, die in dem abgekarteten Spiel gegen mich aussagten. Sie servierten mich für 15 Jahre und ein paar Monate ab und hatten damit ihre Ziel erreicht, mich aus dem Kreis der Bewegung herauszuziehen.
Man ist sofort an die Art und Weise erinnert, wie auch Ihr Vater mittels einer fabrizierten Anklage buchstäblich aus dem Verkehr gezogen wurde. Ist die hohe Strafe als »Sippenhaft« zu erklären, weil Sie Mumia Abu-Jamals Sohn sind?
Aber selbstverständlich! Zudem war meine Pflichtverteidigerin eine ehemalige Bezirksstaatsanwältin, die keinen Bock mehr hatte, als Strafverteidigerin zu arbeiten. Ich legte ihr haarklein auseinander, daß es in dem Fall überhaupt keine hinreichenden Beweise gegen mich gab, aber für sie war der Fall alles andere als klar, und sie riet mir zu einem Handel mit dem Anklagevertreter. Ich sagte, okay, lassen wir einen Punkt unklar sein, aber alle anderen sind glatte Lügen, die ganze Anklage ist fabriziert. Da gibt es nichts zu verhandeln! So kam ich zu meinen 188 Monaten Knast plus 5 Jahre Bewährungsaufsicht. Der unterliege ich jetzt immer noch. Um an der Rosa-Luxemburg-Konferenz teilnehmen zu können, mußte ich mir bei einem US-Bundesrichter eine Reisegenehmigung holen, und die Botschaft mußte kontaktiert werden. Die haben mich nur reisen lassen, weil ich arbeite, selbständig einen Cateringservice betreibe, Steuern zahle und eine Wohnung habe. Ich habe denen offen gesagt, daß ich nach Deutschland und Paris reise, um für meinen Vater zu kämpfen.
Wie war das für Sie, nun selbst die andere Seite der Knastmauern kennenzulernen, hinter denen Ihr Vater schon so lange festgehalten wird?
Ich habe fast die Hälfte der Zeit, die mein Vater schon sitzt, selbst hinter Gittern verbracht, und ich habe dabei nie vergessen, wer ich bin. Der Staat konnte mich nicht brechen, ich habe vielmehr Stärke für mich daraus gezogen. Ich war im Knast der Chefkoch, und den Koch lieben alle. Der Gefängnisdirektor war darüber nicht sehr glücklich und hat mich am Ende mit einem Tritt aus dem Knast befördert.
Wie waren ihre eigenen Erfahrungen mit dem Rassismus hinter den Mauern?
Es gab genug weiße Wärter, die versuchten, mich zu attackieren. Ich habe es denen natürlich zurückgegeben, habe die Angriffe mit Beschwerden und Klagen gekontert. Mein Vater hat mich schon in jungen Jahren gelehrt, mich zu artikulieren und mich zu wehren. Ich kämpfe für meine Rechte. Das gefiel denen natürlich gar nicht. Es gibt Leute, die bekämpfen Dummheit mit Dummheit. Ich bekämpfe Dummheit und Rassismus jedoch mit dem Intellekt.
Aber Sie waren sicherlich nicht der einzige, der sich gewehrt hat. Haben Sie die Erfahrung gemacht, daß Gefangene sich gemeinsam wehren oder zumindest gegenseitig helfen?
Es ist ja immer die Frage, wie du da drinnen deine Zeit verbringst. Wenn du ein Idiot sein willst, sei ein Idiot. Du kannst aber auch deinen Verstand gebrauchen. Ich habe einen Arbeitskreis geleitet, in dem wir Drehbücher geschrieben haben, wodurch ich anderen Gefangenen helfen konnte, die keine richtige Schulbildung und keinen Schulabschluß hatten. Ich habe ihnen beigebracht, die Scripts zu lesen, und wir haben diese Stücke dann gespielt. Das waren ein paar der besten Stücke der ganzen Anstalten. Der Knastdirektor hat sich das angesehen, war mir gegenüber zwar skeptisch und hat gesagt, sie wüßten, daß ich das alles kontrollieren würde und als Koch mein Ding machte, aber sie könnten nicht beweisen, daß ich was im Schilde führte. In den Stücken ging es um Hafterfahrungen und wie es nach dem Knast draußen weitergeht. Das sollte die Leute zum Denken anregen, damit sie ihre Verhaltensmuster aufknacken. Denn darum geht es hauptsächlich im Leben der Gefangenen. Drinnen will jeder zu einer Clique gehören, zu Gleichgesinnten, Drogen und Gewalt sind Teil des Überlebenskampfs. Ich machte denen jedoch klar, daß es ihnen darum gehen muß, Kraft in die eigene Weiterentwicklung zu investieren. Das tat ich selbst auch, ich habe mich körperlich trainiert und mich juristisch weitergebildet.
Gibt es in den USA generell ein neues Bewußtsein über den Zusammenhang zwischen Masseninhaftierungen von Schwarzen und ihrer ökonomischen Situation in der Wirtschaftskrise?
Genau darum geht es im ganzen gefängnisindustriellen Komplex. In den Knastfabriken werden beispielsweise für die US-Regierung billig militärische Ausrüstungsgegenstände produziert. Diese Ausbeutungsbetriebe laufen ganz legal. Zwar verbietet der 13. Zusatzartikel zur Verfassung Zwangsarbeit, erlaubt sie aber, wenn jemand in Strafhaft sitzt. Mit deinem Urteil wirst du also rechtmäßig zum Sklaven der Gefängnisindustrie. Gefangene haben nichts als den Job in der Gefängnisindustrie, um ihre Familien zu ernähren und Schulden zu bezahlen. Rassismus spielt da eine Rolle, wo die einen für den Besitz von einem Gramm Kokain ein Jahr bekommen, weil sie Weiße sind, andere aber nach Überdehnung der Bundesgesetze zu 25 oder 30 Jahren verurteilt werden, weil sie Schwarze sind. Der »Krieg gegen die Drogen« ist Ausdruck des Rassismus. Dadurch werden massenhaft Gefangene produziert und so die neuen Sklaven für die Gefängnisfabriken. Dort herrscht nur deshalb so viel Gewalt, weil die Leute frustriert sind und keine Gelegenheit bekommen, etwas für sich zu tun, sich weiterzuentwickeln. Einige werden da drin auch verrückt, flippen aus. Im US-Knastsystem geht es nicht um Resozialisierung, um Investitionen in die Zukunft der Gefangenen, sondern es geht um Investitionen in die Wall Street.
Sprechen Sie darüber auf Ihren öffentlichen Veranstaltungen?
Nicht speziell über das Problem Masseninhaftierung. Es geht mir grundsätzlich um das Unrechtssystem in den USA, daß Angeklagte sich keine angemessene Verteidigung leisten können. Es geht mir um die Opfer dieses Unrechtssystems, daß jeder von uns in die Situation geraten kann, zu einem neuen Sklaven gemacht zu werden. Der Polizeiapparat ist durch und durch korrupt. Polizisten können im Zeugenstand so viele Lügen erzählen, wie sie wollen, wie sie es im Fall meines Vaters getan haben. Niemand spricht über die Ermittlungen des FBI von 1980-88, durch die 25 bis 30 korrupte Polizisten verurteilt wurden, die gelogen und Beweise fabriziert hatten. Mein Vater ist 1981 verhaftet worden, also genau in dieser Zeit, als diese Ermittlungen liefen. Es kann also gut sein, daß es FBI-Agenten gab, die mitgekriegt haben, was wirklich passiert ist. Aber sie hätten ihn gern erschossen, weil er seine beruflichen Möglichkeiten als Journalist dazu nutzte, dem Staat die Wahrheit um die Ohren zu hauen.
Die Masseninhaftierungen kommen auch dadurch zustande, daß in den Vierteln der Weißen vielleicht zwei Streifenwagen unterwegs sind, aber in denen der Schwarzen fünfzig. Und da werden allein deshalb schon mehr Leute festgenommen, weil sie einfach mehr Leute anhalten und filzen. Und wenn die Cops keine Lust mehr haben, Streife zu fahren, dann halten sie einen Wagen an, greifen sich jemand unter einem Vorwand und bringen ihn aufs Revier.
Was ja genau Mumias Geschichte ist, als sein Bruder Billy in einer Verkehrskontrolle angehalten und verprügelt wurde und er ihm helfen wollte...
Ja, und genau das passiert nach wie vor Tag für Tag genauso weiter in Philadelphia.
Seit 32 Jahren sitzt Ihr Vater unschuldig im Gefängnis – fünf Jahre mehr als Nelson Mandela –, davon 30 Jahre in der Isolation des Todestrakts. Was können Sie uns zur weiteren Perspektive der juristischen Bemühungen zur Erlangung seiner Freiheit sagen?
Derzeit läuft die Berufung gegen das gesetzwidrige Vorgehen der Justiz von Philadelphia im Zuge der Umwandlung seines Todesurteils in lebenslange Haft ohne Bewährung. Nachdem das Todesurteil als verfassungswidrig aufgehoben worden war, hatte die zuständige Richterin das Urteil 2011 ohne gerichtliche Anhörung meines Vaters umgewandelt und ihren Beschluß stillschweigendzu den Akten gelegt, ohne daß mein Vater angehört wurde. Seine Anwältin Rachel Wolkenstein erfuhr davon mehr zufällig, als sie im August 2012 routinemäßig bei Gericht in die Akten schaute (jW berichtete am 28. August 2012). Auch seine Verfahrensanwältinnen waren über diesen Vorgang nicht informiert. Durch Wolkensteins Entdeckung konnte mein Vater damals in letzten Minute noch Rechtsmittel einlegen, mit dem Ziel, doch noch eine Anhörung über das Strafmaß durchzusetzen, in der die Fakten übers seine Unschuld vor einer neugewählten Jury präsentiert werden könnten. Die Entscheidung darüber steht noch aus. Wir sind fest davon überzeugt, mit weltweiter Unterstützung den Druck auf die US-Regierung so erhöhen zu können, daß sie sich gezwungen sieht, das zu tun, was sie in solchen Situationen immer tut: Ihr »Versehen« zu entschuldigen, und sich dann auf die Position zurückzuziehen, Mumia Abu-Jamal sei zwar nicht unschuldig, aber unter den gegeben Umständen wolle man ihn entlassen. Nur so werden wir seine Freilassung erreichen: Indem wir politischen Druck ausüben. Einen anderen Weg gibt es nicht.
Seit Bildung des ersten Teams aus Vertrauensanwälten im Jahr 1992 haben die Solidaritätskomitees in der BRD immer eng mit den Anwälten ihres Vaters zusammengearbeitet, weil die juristische und die politische Strategie in politischen Prozessen eng zusammengehen müssen, um erfolgreich sein zu können. Der Fall von Angela Davis hat das in den 1970er Jahren deutlich gezeigt. Seit einiger Zeit wird von Aktivisten, aber auch aus Gewerkschafts- und Schriftstellerkreisen, die Kritik geäußert, daß die Verteidigung nicht mehr ausreichend über ihre juristischen Schritte informiert. Haben Sie von dieser Kritik gehört?
Wir Angehörigen befinden uns gerade in einer Umbruchphase. Wir organisieren uns neu und haben dazu die Website www.freedom4mumia.org eingerichtet, um Mumia dabei zu unterstützen, angemessenen Beistand zu bekommen. Wir sind selbst nicht glücklich über das, was juristisch läuft und wollen das voranbringen. Das geht uns allen zu langsam. Abu (Vater, d. Übers.) ist immer noch eingekerkert, und er will endlich nach Hause kommen. Er ist selbst nicht zufrieden mit der momentanen Situation. Wir als Angehörigenorganisation brauchen dazu die Rückenstärkung durch die internationale Bewegung. Wir wollen die Kontakte wiederbeleben, die Unterstützerbewegung vereinigen und sie auf ein solides Fundament stellen, auf dem sie sich konsolidieren und wachsen kann. Deshalb bin ich persönlich hier und nicht irgendein Vertreter. Mein Vater hat mich ganz bewußt entsandt. Damit wollen wir auch klar machen, daß wir als Angehörige keine Pannen mehr tolerieren durch Leute, die unqualifiziert daherreden. Wir müssen wieder fragen,was machst du da eigentlich und was läuft hier? Die Aufforderung geht an jeden: Mach dich an die Arbeit und setze was in Gang – oder zieh dich zurück, weil du sonst anderen im Weg stehst, die etwas tun wollen! Deshalb haben wir jetzt die Initiative ergriffen und reichen allen die Hand, damit wir wieder stärker werden.
In den gut 25 Jahren, in denen es in der BRD die Kampagne für Mumia Abu-Jamal und gegen die Todesstrafe gibt, haben Organisationen und Aktivisten auch wegen politischer Fehler in der Kampagne und wegen interner Widersprüche über strategische und taktische Fragen aufgegeben oder weil persönliche oder Gruppeninteressen Bündnisse verhinderten. Wie wäre dem entgegenzuwirken?
Wir rechnen mit solchen Widersprüchen. Wir haben einen Gegner, der sich genau wie wir überlegt, was zu tun ist. Er setzt gezielt seine Agent provocateurs gegen uns ein, oder er streut Gerüchte aus, um Streit zu provozieren. Wir sollten uns deshalb auf das Wesentliche unserer Zielsetzung konzentrieren. Das heißt für uns: Wir werden niemals »slow death row« akzeptieren, den langsamen Tod Mumias, die Todesstrafe auf Raten unter den Bedingungen lebenslanger Haft ohne Bewährung. Deshalb lautet unsere Parole »No To Slow Death Row!«. Dazu ein Beispiel, aber zuvor noch eine Anmerkung: Mein Vater Mumia und ich lieben und respektieren uns auf der Basis von Werten, und wir sind unzertrennlich. Ich respektiere ihn mit meinen 43 Jahren auch als Vater, aber vor allem als Menschen mit Prinzipien. Als er mich auf einer Veranstaltung in einer New Yorker Universität anrief und die Leute im Saal riefen: »We gonna free Mumia at four!«(»Wir werden Mumia um 16 Uhr befreien«) und Petitionen an Präsident Obama schicken wollten, da hab ich gesagt, das reicht mir nicht. Warum? Weil ihr euch damit zu Bittstellern macht. Wer aber als Bittsteller kommt, den schickt man auch wieder als Bittsteller fort. Wir wollen aber nicht betteln und unsere Hand aufhalten, wir stellen Forderungen, und wir sind bereit, Führung zu übernehmen, wenn ihr bereit seit zu kämpfen. Und als ich meinen Vater dann auf der Bühne am Telefon hatte, habe ich zu ihm gesagt, ich sei gerade ein wenig konfus und vielleicht könne er mir helfen. »Womit?« wollte er wissen. Ich fragte ihn: Möchtest du um 16 Uhr nach Hause gehen, oder bist du bereit, jetzt sofort zu gehen? Er darauf spontan: »Natürlich jetzt sofort!« Und das war genau das, was ich sagen wollte. Deswegen wollen wir gemeinsam mit unseren Unterstützern laut sagen: Holen wir Mumia jetzt sofort nach Hause! »No To Slow Death Row«! Wir werden also den Ball in Bewegung halten. Die Leute in der Bewegung wollen nicht stillstehen, sondern sich wie beim Völkerball flink bewegen. Wer beim Völkerball nämlich still stehen bleibt, der wird getroffen und ist raus. Raus haben wollen wir jedoch nur einen: Mumia. Darum muß es uns jetzt gehen.
Und wer sich jetzt an Ihre neue Website http://www.freedom4mumia.org[2] wendet, der wird auch jemand erreichen?
Dort wird man definitiv immer jemanden von uns erreichen. Die Unterstützer sollen wissen, daß sie sich auf Mumias Familie verlassen können. Wir wollen allen Hoffnung machen, daß es nicht vergeblich ist, sich in Gruppen zusammenzuschließen, Netzwerke aufzubauen, initiativ zu werden. Wir wollen die US-Regierung gemeinsam dazu zwingen, Mumia gehen zu lassen, weil sie gegen ihn keinen einzigen stichhaltigen Beweis hat. Die Herrschenden verfolgen ihn für ein Verbrechen, von dem sie genau wissen, daß er es nicht begangen hat. Wenn wir internationalen Druck erzeugen, dann können sie gar nicht anders und müssen sich einen Ausweg überlegen, um nicht ihr Gesicht zu verlieren. Wir müssen denen klarmachen: Wir werden niemals zulassen, daß Mumia im Gefängnis stirbt!
Das Gespräch führte Jürgen Heiser
Nachträge:
1.) Link zu der 25minütigen Filmdokumentation »Manufacturing Guilt« (»Das Fabrizieren von Schuld«), die Jamal Hart bei seinen Vorträgen zeigt:
http://kurzlink.de/manufacturing-guilt[3]
2.) Der von Jamal Hart erwähnte Abgeordneten David P. Richardson hält auf der Kundgebung am 12. August 1995 eine legendäre Ansprache, der heute kaum etwas hinzuzufügen wäre:
https://www.youtube.com/watch?v=yoFdZItmehw[4]