Kolumne # 687 vom 22. 02.2014: Angst vorm schwarzen Mann

22.02.14 (von maj) Der Rassismus ist allgegenwärtig in den Vereinigten Staaten des 21. Jahrhunderts

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 45 – 22./23. Februar 2014

Es kann nur als Gipfel bitterer Ironie bezeichnet werden, was gerade in Florida passiert ist. Das Gerichtsverfahren gegen einen Weißen mittleren Alters, der angeklagt war, nach einem Wortgefecht über sogenannte Thug Music (Gangstermusik; d.Red.) einen siebzehnjährigen Afroamerikaner erschossen zu haben, endete nicht etwa mit einer Verurteilung wegen Mordes, sondern mit der Erklärung der Jury, daß sie sich nicht auf einen Schuldspruch in diesem Hauptanklagepunkt einigen konnte. Daß sich dies ausgerechnet während des »Black History Month« ereignete, in dem sich das schwarze Amerika traditionell auf seine historischen Errungenschaften besinnt, sagt alles darüber aus, wie schlecht es steht um die Vereinigten Staaten von Amerika.
Schwarze Jungen und Männer nehmen in der öffentlichen Meinung den untersten Rang ein. Das ist historisch schon immer so gewesen, und es ist bis in unsere Tage nicht anders. Das hat damit zu tun, daß sowohl in der Rechtsprechung als auch insgesamt im weißen Amerika – und zum Teil auch im schwarzen Amerika – das Leben schwarzer Menschen nicht viel wert ist. Einige mögen dem widersprechen, aber dabei sollte folgendes bedacht werden: Wenn ein Schwarzer auf weiße Jugendliche, die laut Heavy-Metal-Musik hören, schießen und einen von ihnen dabei töten würde – kann es dann überhaupt einen ernsthaften Zweifel daran geben, daß dieser Schwarze automatisch ein Kandidat für den Todestrakt wäre?
Aber die soziale Angst weißer Männer vor schwarzen Männern hätte im Fall des Gerichtsverfahrens über den erschossenen Jugendlichen fast zu einem Freispruch geführt. Schließlich wurde der Täter wegen mehrfachen versuchten Mordes verurteilt, weil er auch auf die Freunde des Ermordeten geschossen hatte. Das sagt alles aus über das Gesetz, die Gerichte und die Gesellschaft der USA im allgemeinen. Es zeigt auch noch einmal deutlich, wie schwarze Männer in den USA wahrgenommen werden. Es ist eine schlichte Wahrheit, daß weiße Männer Angst vor schwarzen Männern haben. Das mag irrational sein, aber dadurch ist es nicht weniger wahr, sondern eher noch eine Bestätigung.
Vor etwa 100 Jahren, in der zweiten Dekade des 20. Jahrhunderts, erlebten schwarze Männer und Frauen, die gerade erst seit einer Generation das Joch der Sklaverei abgeschüttelt hatten, eine Welle weißer rassistischer Gewalt. In einer Zeit, die W.E.B. Du Bois den »blutroten Sommer« nannte, wurden Schwarze zu Tausenden gelyncht. Diese Gewaltausbrüche fanden unter stillschweigender Billigung der US-Regierung und der Parlamente der betroffenen US-Bundesstaaten statt. Und was war einer der Auslöser dieser Gewaltakte? Die Angst weißer Männer und ihre Befürchtung, daß die gerade erst befreiten schwarzen Männer nun um weiße Frauen als Sexualpartnerinnen werben würden. Diese Psychologie der Angst setzt sich bis heute fort, jetzt allerdings unter dem Schutzschild der Illusionen, wie sie von Politik, Rechtsprechung und Unterhaltungsindustrie verbreitet werden.
Ein Teenager streitet sich wortgewaltig mit einem um einige Jahre älteren Mann, und der Weiße sieht in ihm nicht den Teenager, den Jungen, sondern er sieht in ihm den schwarzen Mann, und sofort setzt der Verstand aus und er wird von Furcht ergriffen. Das ist eine Momentaufnahme aus dem schwarzen Amerika des Jahres 2014.
Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 24.11.2024 um 01:04:03 Uhr