Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 97 – 26./27. April 2014
Das mysteriöse Verschwinden von Flug MH370 der Malaysia Airlines von Kuala Lumpur nach Peking seit dem 8. März 2014 gab den Konzernmedien wochenlang Gelegenheit zu Meinungsmanipulation und Übersättigung ihres Publikums. Anstelle von Tatsachenberichten und weitergehenden Nachforschungen wurde uns eine Vielzahl von Spekulationen und Gerüchten zugemutet, die bestenfalls als Panikmache zu bezeichnen waren. Warum das Ganze? Die Antwort liegt auf der Hand: Es ging um Auflagensteigerung und höhere Einschaltquoten. Die meisten Nachrichtenkanäle der Kabelnetzwerke konnten eine Verdoppelung ihrer regulären Zuschauerzahlen verzeichnen.
Früher hatten Nachrichtensendungen die Aufgabe, über das zu berichten, was passiert, und gelegentlich auch, warum es passiert. Heute sind die Programmchefs so scharf auf die Steigerung der Einschaltquoten für ihre Sender, daß sie schon im Vorfeld von Ereignissen Theorien, Gerüchte, Befürchtungen und Eventualitäten verbreiten, um Emotionen auszulösen, damit die Leute tagelang am Bildschirm kleben bleiben und sich nicht mehr vom Programm ihres Senders losreißen können.
Begriffen haben wir aus diesen Vorgängen nur, daß weder die Nachrichtensprecher noch die sogenannten Experten irgend etwas Genaues wußten. Wer nichts weiß, sollte besser den Mund halten. Aber das Gegenteil war der Fall. Den ganzen Tag jagte eine »Sondermeldung« die andere, aber was wir zu hören oder zu sehen bekamen, war weder etwas Besonderes noch eine Meldung. Mit sorgfältig recherchierten Nachrichten hatte das alles nichts zu tun.
Statt dessen sahen und hörten wir Interviews mit aufgebrachten Familienangehörigen. Stunde um Stunde mußten sie und ihre prekäre Situation dazu herhalten, das Programm mit Material zu füllen, ohne daß dabei etwas Substantielles oder Bedeutsames herauskam. Eigentlich wäre Funkstille angesagt gewesen, aber das gierige Biest Sensationslust hatte einen unstillbaren Hunger. Es verlangte nach mehr und immer mehr, und deshalb wurde es mit allem gefüttert, was irgendwie mit Hoffnung, Gefühlen, Befürchtungen und Verlustängsten zu tun hatte und als »Nachricht« verpackt werden konnte. Wenn man Nachrichten veröffentlicht, sollte man jedoch über neue Informationen verfügen. Aber davon wurde uns in Sachen Flug MH370 wenig geboten, weil sie schlicht und einfach nichts hatten. Und dann kam die nächste »sensationelle Eilmeldung« von irgendwoher auf der Welt. Und vergessen waren Flug MH370 und die Opfer seines ungeklärten Verschwindens.
Übersetzung: Jürgen Heiser