Kolumne # 701 vom 31.05.2014: Am Puls des Morgens

31.05.14 (von maj) Weggefährtin von Malcolm X und Stimme der Erinnerung: Am Mittwoch starb Maya Angelou

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 124 – 31. Mai/1. Juni 2014

Maya Angelou konnte nur der Name einer Dichterin sein, er hätte zu keiner anderen Person gepaßt, einfach zu ideal ist er, zu lyrisch. Maya wurde am 4. April 1928 als Margeruite Annie Johnson in St. Louis, Missouri, geboren. Als Stimme der Erinnerung, als Dichterin, Schauspielerin, Autorin und Aktivistin erzeugte sie zeit ihres Lebens einen hellen Hoffnungsschimmer am Firmament. Als weithin anerkannte Literaturprofessorin unterrichtete sie Generationen von Studierenden.
In jungen Jahren trat Maya als Interpretin afrikanischer Tänze auf vielen Bühnen auf. Später lernte sie Malcolm X kennen und wurde zu einer seiner engsten Vertrauten und Mitarbeiterinnen. Vorübergehend leitete sie die »Organization of Afro-American Unity«, die Malcolm X nach seiner Trennung von der »Nation of Islam« gegründet hatte. Die 1960er Jahre waren eine Zeit des Aufbruchs. Während der Präsidentschaft von Kwame Nkrumah sympathisierten Aktivisten aus aller Welt mit dem unabhängig gewordenen Ghana, darunter viele Afroamerikaner. Zu ihnen gehörte auch Maya Angelou, die in Westafrika ihre neue Heimat fand. Dort begegnete sie erneut Malcolm X, der eines Tages vor ihrer Tür stand, seelisch erfrischt von seiner Pilgerreise nach Mekka, sein Teint nachgedunkelt unter der afrikanischen Sonne und sein Gesicht neuerdings geziert von einem Kinnbart.
Malcolms Ermordung am 21. Februar 1965 wurde zu einem Wendepunkt in Maya Angelous Leben. Der Mord schien ihr »das Werk von Verrückten« zu sein, wie sie selber sagte. Sie erfuhr davon durch einen Telefonanruf während eines Verwandtenbesuchs in San Francisco und war zutiefst schockiert über Malcolms Schicksal. Ihr Bruder holte sie unaufgefordert aus der Wohnung der Angehörigen ab und zog mit ihr durch die Straßen der vor allem von Schwarzen bewohnten Stadtviertel. In Fillmore trafen sie auf Leute, die zum Teil äußerst negative Kommentare über Malcolm X abgaben. »Er hat bekommen, was er verdient«, sagte einer. »Geschieht ihm ganz recht«, ein anderer. Woraufhin sich der Bruder Maya mit der Äußerung zuwandte: »Und das sind die Leute, für die dieser Mann gestorben ist!«
Es folgten Jahre, in denen Maya Angelou zahlreiche Bücher schrieb, Mutter wurde – ihr Sohn ist heute als der hervorragende Schriftsteller Guy Johnson bekannt –, an der Hochschule lehrte und als Mentorin wirkte. 1969 veröffentlichte sie ihre Autobiographie unter dem Titel »I Know Why the Caged Bird Sings« (»Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt«), eine dramatische Geschichte von Elend und Mißbrauch während der Kindheit, von Rache ihrer Familie an ihrem Peiniger und dessen Tod. Es folgten Werke, mit denen sie ihre Leser in eine poetische Welt der Wunder, des Lichts und der Hoffnung entführte. Ihre majestätische Altstimme verlieh der Amtseinführung eines US-Präsidenten (Bill Clinton, 1993; jW) eine Erhabenheit, die er nicht verdiente, als sie ihr Gedicht »On the Pulse of Morning« (etwa »Am Puls des Morgens«) rezitierte: »Geschichte, unter quälendem Schmerz erfahren, muß trotzdem gelebt werden; wird sie jedoch mutig angenommen, bedarf es nicht ihrer Wiederholung.« Das sagt mehr über ihr eigenes außergewöhnliches Leben aus als über das des damals gefeierten Präsidenten. Maya Angelou starb am Donnerstag, dem 28. Mai 2014, im Alter von 86 Jahren an ihrem letzten Wohnort in North Carolina.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 24.11.2024 um 01:39:38 Uhr