Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 219 – 20/21. September 2014
Vor der Ermordung Michael Browns war der Name des Ortes Ferguson den meisten von uns nicht bekannt. Aber durch die Ereignisse dort und die heftige staatliche Repression wurde der Name zu einem Schlagwort für schwarzen Widerstand, wie zuvor Watts, Newark, Harlem und Los Angeles durch die Aufstände Mitte der 1960er Jahre. Aber Ferguson ist kein Name, der vor fünfzig Jahren Bedeutung erlangte, sondern heute. Vor allem für junge Schwarze waren die Geschehnisse dort ein schonungsloser Anschauungsunterricht über die gesellschaftliche Wirklichkeit. Denn als sie es wagten, gegen den Tod eines der ihren zu protestieren, reagierte der Staat darauf mit dem Instrumentarium und den Waffen des Krieges. Die Polizei beschoß sie mit Tränengas und rückte dermaßen gewalttätig gegen sie vor, daß man dachte, Ferguson sei kein Vorort von St. Louis in den USA, sondern von Falludscha im Irak. Das Vorgehen der Polizei gegen die Demonstranten glich dem einer ausländischen Besatzungsarmee, und genau das sind die überwiegend aus Weißen bestehenden Polizeikräfte auch, wenn sie sich in den mehrheitlich von Schwarzen bewohnten Gebieten bewegen. Auge in Auge mit dieser Bürgerkriegsarmee wurde den jungen Leuten von Ferguson auf den Straßen ihrer Stadt eine sehr lehrreiche Lektion darüber erteilt, was die weiße Nation in Wahrheit von ihnen, ihren angeblichen Verfassungsrechten, ihren sogenannten Freiheiten und ihrem Recht auf Leben hält. Sie begriffen sehr schnell, welcher Lohn Schwarze in den USA erwartet, wenn sie für ihre Rechte auf die Straße gehen: Repression, Repression und noch mehr Repression!
Aber auch über ihre »leader«, ihre Anführer, bekamen sie eine Lektion erteilt. Diese forderten sie auf, »Frieden und Ruhe« zu bewahren, während schwerbewaffnete Polizeitruppen sie am Demonstrieren hinderten und von Panzerwagen aus mit Maschinengewehren und Scharfschützen auf unbewaffnete Frauen, Männer und Kinder zielten.
Der russische Revolutionär Wladimir Iljitsch Lenin sagte einmal: »Es gibt Jahrzehnte, in denen nichts geschieht, und Wochen, in denen Jahrzehnte geschehen.« Das erlebte jetzt auch die schwarze Jugend, deren Lage davon bestimmt ist, durch die unrühmliche Unterversorgung mit angemessener Schulbildung faktisch aus dem US-Wirtschaftssystem ausgeschlossen zu sein und dafür im Fadenkreuz des heimtückischen »Krieges gegen die Drogen« zu stehen und massenhaft in die Gefängnisse einzufahren. Oder auf den Straßen ihrer Städte permanent von weißen Polizisten in angeblichen Verkehrskontrollen angehalten und gefilzt zu werden, nur weil sie als Schwarze hinter dem Steuer eines Autos sitzen. Diese Jugend hatte jetzt die Ehre, bei der Selbstdarstellung des Sicherheitsstaates in Ferguson in der ersten Reihe zu stehen, nachdem einer aus ihren Reihen von der rassistischen Polizei am hellichten Tag in ihrer Nachbarschaft erschossen worden war. Ferguson wird sich als Weckruf erweisen – ein Aufruf an die Jugend, soziale, radikale, ja letztlich revolutionäre Bewegungen zur Veränderung ihrer Lage aufzubauen.
Übersetzung: Jürgen Heiser