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Entrechtet hinter Gittern
Von Jürgen Heiser
Der Gouverneur des US-Bundesstaates Pennsylvania, Tom Corbett, hat am Dienstag 12 Uhr (Ortszeit) ein Gesetz unterschrieben, das Gefängnisinsassen daran hindern soll, öffentlich ihre Meinung kundzutun. Der in der vergangenen Woche von beide Parlamentskammern von Pennsylvania im Schnelldurchgang verabschiedete »Revictimization Relief Act« soll angeblich dem Opferschutz dienen. Kritiker sprechen jedoch von einem »Maulkorbgesetz« oder direkt vom »Silence Mumia Law«, weil es auf Gefangene wie den zu lebenslanger Haft verurteilten Schwarzenaktivisten Mumia Abu-Jamal abzielt.
Wer Hauptadressat des Gesetzes ist, lässt sich schon an dem Ort erkennen, den Gouverneur Corbett für den Akt der Unterzeichnung wählte. Normalerweise vollzieht der seine hoheitliche Pflicht im Amtssitz in Harrisburg, am Dienstag jedoch ließ er eine mobile Bühne in der Straße in Philadelphia aufbauen, in der im Dezember 1981 der Polizist Daniel Faulkner unter nach wie vor ungeklärten Umständen zu Tode kam. Umgeben von dessen Witwe Maureen, dem republikanischen Gesetzesinitiator Mike Vereb und einer Abordnung der Polizeibruderschaft FOP, versuchte Corbett deutlich zu machen, was Teil der Staatsräson in Pennsylvania ist: Der politische Aktivist und Journalist Abu-Jamal soll als »Copkiller« für Faulkners Tod verantwortlich gemacht werden.
Corbetts Botschaft ging jedoch unter, weil gut fünfzig Gegendemonstranten sich nahe der Bühne nicht das Wort verbieten ließen. Zum Teil in orange Gefängnisoveralls gekleidet, skandierten sie Parolen gegen das Maulkorbgesetz und riefen: »Was tun wir, wenn unser Bruder Mumia angegriffen wird? Wir stehen auf und schlagen zurück!« Ein Exgefangener unter den Demonstranten brachte durch sein Poster auf den Punkt, wozu das Gesetz in Zukunft dienen soll: »Im Gefängnis habe ich gegen Misshandlungen das Wort ergriffen. Jetzt wollen Corbett und die FOP mich zum Schweigen bringen.«
Das US-Fernsehprogramm »Democracy Now!« brachte am Montag eine Aufzeichnung des kalifornischen »Prison Radio«, das Abu-Jamal interviewt hatte. »Vielleicht eines der letzten Male, dass wir ihn so hören können?« fragte Moderatorin Amy Goodman vorab. Dann ließ sie Abu-Jamal sprechen, der erklärte, er begrüße die Unterzeichnung des verfassungswidrigen Gesetzes, weil dieser Akt zeige, dass weder die Exekutive noch die Legislative Wert auf den Schutz der Verfassungen Pennsylvanias oder der USA legten. »Das beweist doch, dass sie diejenigen sind, die sich außerhalb des Gesetzes stellen«, erklärte der ursprünglich zum Tode verurteilte Radiojournalist, der nach Umwandlung des Urteils bis an sein Lebensende hinter Gittern bleiben soll. Nachdem es 1981 nicht gelungen sei, »Mumia auf der Straße zu töten oder es dann in 30 Jahren Todestrakt nachzuholen«, so Noelle Hanrahan von »Prison Radio« in derselben Sendung, setzten Staat und FOP jetzt ihre Versuche fort, ihn wenigstens zum Schweigen zu bringen, »diesmal, indem man sein Recht auf freie Rede eliminiert«. Die Journalistin zeichnet Woche für Woche Abu-Jamals Kommentare und Beiträge auf, die er per Telefon übermittelt.
Corbett versuche, mit seiner Kampagne Stimmung am rechten Rand zu machen, weil ihm als Gouverneur die Felle davonschwimmen und er um seine Wiederwahl fürchte, analysierte Abu-Jamal. Wichtiger sei aber etwas anderes: »Die Presse ignoriert die Gefangenen. Für sie existieren Gefängnisse überhaupt nicht, da herrscht Schweigen in allen Bundesstaaten der USA«, kritisierte Abu-Jamal und verwies darauf, dass er sein Recht, im Gefängnis zu schreiben, erst durch eine Zivilklage erstreiten musste.
Reggie Shuford von der »American Civil Liberties Union« (ACLU) erklärte unterdessen, ein Gesetz, das es möglich macht, »jedes öffentliche Wort eines Gefangenen oder Exgefangenen gerichtlich zu verbieten, weil es ›seelischen Schmerz‹ verursachen könnte«, werde keinen Bestand vor der Verfassung haben. Die ACLU werde Verfassungsklage gegen dieses Gesetz einlegen.