Kolumne # 786 vom 11.01.2016: Das Schweigen der Medien

11.01.16 (von maj) Die Medien ließen den Strafprozess gegen einen wegen Vergewaltigung angeklagten Polizisten unter den Tisch fallen, weil seine Opfer Afroamerikanerinnen waren

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 2 vom 4. Januar 2016: Bitte HIER klicken![1]

Das Schweigen der Medien
Im Dezember ist der Strafprozess gegen den Polizeibeamten Daniel Holtzclaw zu Ende gegangen. Deshalb sollte nun Bilanz darüber gezogen werden, welche Bedeutung dieses Verfahren hat und warum es den Medien kaum eine Meldung wert gewesen ist.
Holtzclaw, ein 28jähriger weißer Polizist aus Oklahoma, wurde wegen sexueller Übergriffe, Vergewaltigung, »Unzucht« und damit verbundenen Delikten in achtzehn Anklagepunkten schuldig gesprochen. Ihm wurde vorgeworfen, mehr als dreizehn schwarze Frauen – von Teenagern bis zu einer Frau um die Fünfzig – attackiert und vergewaltigt zu haben!
Die Geschworenen im Prozess in Oklahoma forderten eine Gesamtstrafe von 260 Jahren Gefängnis. Wer darüber jedoch etwas aus den Medien erfahren wollte, musste das Glück haben, auf eine der wenigen Kurzmeldungen zu stoßen. Ein Serientäter, der mindestens dreizehn Frauen sexuell belästigt und vergewaltigt hat – warum machte das keine Schlagzeilen? Ganz einfach: Weil diese dreizehn Frauen Afroamerikanerinnen waren.
Nur ein Kabelfernsehsender berichtete über den Prozess in dem von Schwarzen gemachten Nachrichtenprogramm von TV1. Moderator Roland Martin, der früher für CNN gearbeitet hatte, nutzte dazu Berichte von Prozessbeobachtern, die im Internet veröffentlicht wurden. Sonst fand das Thema kein Sender wichtig. Nicht einer. Warum nicht? Offensichtlich, weil schwarze Leben nicht zählen – »Black Lives Don’t Matter«!
Holtzclaw nutzte Uniform, Polizeiabzeichen und Dienstwaffe dazu, über ein Dutzend Frauen unter einem Vorwand anzuhalten, einzuschüchtern und zu vergewaltigen. Manchmal tat er das in seinem Streifenwagen – und ein Mädchen im Teenageralter vergewaltigte er sogar zu Hause auf der Veranda. Und dann wundern die Leute sich darüber, dass niemand mehr Vertrauen zu Polizisten hat!
Dieser Kerl konnte nur mit Hilfe von DNA-Tests und gesicherten GPS-Informationen über seinen jeweiligen Aufenthaltsort dingfest gemacht werden. Aber wie konnte jemand wie Holtzclaw überhaupt so etwas Krankes in Betracht ziehen? Er hatte es ziemlich leicht, denn die meisten seiner Opfer stammten aus ärmlichen Verhältnissen. Einige standen im Verdacht, Sexarbeiterinnen zu sein, gegen andere liefen Verfahren wegen Drogendelikten. Mit anderen Worten: Sie waren für ihn leichte Opfer. Dieser Cop suchte sich sehr sorgfältig solche Frauen aus, von denen er wusste, dass sie keinen gesellschaftlichen Rückhalt haben und keine Chance, sich zu wehren.
Und das Schweigen der Medien verstärkte die negative Sicht auf die betroffenen Frauen noch, nahm ihnen ihre Menschenwürde und wertete sie herab. Wäre ausführlich über den Prozess berichtet worden, hätte das vor der landesweiten Öffentlichkeit ein grelles Licht auf die Praktiken der Polizei geworfen. Deshalb ließen die Medien den Prozess unter den Tisch fallen. Sie verhielten sich wie ein Polizist, der auf der Straße breitbeinig über dem leblosen Körper eines Gewaltopfers steht und zu den Passanten sagt: »Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen! Los, weitergehen!«

Übersetzung: Jürgen Heiser


Links im Artikel: 1
[1] https://www.jungewelt.de/2016/01-11/026.php?sstr=das|schweigen|der|medien

Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel1349.html
Stand: 24.11.2024 um 00:17:36 Uhr