Kolumne # 803 vom 9.05.2016: Verweigerte Gerechtigkeit

09.05.16 (von maj) Das wirkliche Problem in den USA sind Politiker, die immer nur »in Ruhe reden« wollen, wenn schwarze Leben ausgelöscht werden

Link zum Artikel in junge Welt Nr. 107 vom 9. Mai 2016: Bitte HIER klicken![1]

Verweigerte Gerechtigkeit
Bei seinem letzten Besuch in Großbritannien sorgte Barack Hussein Obama für einige Aufregung mit Bemerkungen über junge Aktivisten der Bewegung »Black Lives Matter« (BLM; Schwarze Leben zählen). Sie hätten Erfolg damit gehabt, Aufmerksamkeit für wichtige Themen zu erzeugen, sagte er, aber sie hätten versagt, weil sie sich nicht mit politischen Führern an einen Tisch gesetzt hätten. »Es nützt nichts, wenn ihr sie nur niederbrüllt«, kritisierte er die Aktivisten. Obamas Schelte für die antirassistische Bewegung stellte sie als unreif, undifferenziert und unwissend bezüglich der wundersamen Gepflogenheiten der Politik dar, die sich seiner Meinung nach darin erschöpfen, sich hinzusetzen und etwas auszukungeln. Ironischerweise kamen diese Argumente ausgerechnet von einem US-Präsidenten, der kaum in der Lage war, sich mit Politikern zusammenzusetzen, die ihm ablehnend gegenüberstehen.
Einer, der auch stets dafür kritisiert wurde, dass er Proteste organisierte, war Martin Luther King jr. In seinem Buch »Why We Can’t Wait« (»Warum wir nicht warten können«) schrieb er: »Wir wissen aus schmerzlicher Erfahrung, dass der Unterdrücker dem Unterdrückten niemals freiwillig die Freiheit gibt. Der Unterdrückte muss sie fordern. Offen gestanden, habe ich noch nie an einer Bewegung der direkten Aktion teilgenommen, die nach dem Zeitplan derer, die nicht unter der Qual der Segregation gelitten haben, ›zur rechten Zeit‹ kam. Seit Jahren höre ich nun schon das Wort ›warte‹! Es klingt jedem Neger mit schmerzlicher Vertrautheit im Ohr. Aber mit diesem ›warte‹ meinte man fast immer ›niemals‹. Es war ein Beruhigungsmittel, das für einen Augenblick den Druck erleichterte, der auf dem Gemüt lastete, aber nur, um eine Missgeburt getäuschter Hoffnungen hervorzubringen. Wir müssen endlich erkennen, dass eine zu lange aufgeschobene Gerechtigkeit einer verweigerten Gerechtigkeit gleichkommt.« (Aus: »Schöpferischer Widerstand«. Hg. Heinrich W. Grosse, Gütersloh 1985)
Diesen Worten, die Reverend King 1963 aus einem Gefängnis in Birmingham in einem Brief an seine »lieben Amtsbrüder« schrieb, folgt seine Beschreibung, »wie hasserfüllte Polizisten ungestraft Ihre schwarzen Brüder und Schwestern beschimpfen, mit Füßen treten, misshandeln und sogar töten«.
Es ist das Fortbestehen genau dieser gesellschaftlichen Krisenzustände, die dazu führten, dass die BLM entstand, und nicht ihre angebliche »politische Naivität«. Nebenbei bemerkt hat die BLM weitaus mehr auf die Beine gestellt, als Politiker »niederzubrüllen«. Die von ihr organisierten Proteste haben unter anderem die Wiederwahl zweier Bezirksstaatsanwälte vereitelt, die nach rassistischer Polizeigewalt nichts gegen die Täter unternahmen und damit den betroffenen schwarzen Gemeinden quasi ins Gesicht spuckten. So geschehen in Obamas Heimatstadt Chicago (Illinois) nach dem Mord an Laquan McDonald im Oktober 2014 und in Ferguson (Missouri) nach dem Mord an Michael Brown im August 2014.
Die BLM hat die Fahne des schwarzen Widerstands gegen das Unrecht hochgehalten. Hätten die Aktivisten sich mit Obamas Kumpel Rahm Emanuel, dem Bürgermeister von Chicago, hinsetzen und in aller Ruhe über den Mord an McDonald debattieren sollen? Obwohl der wegen seiner Verachtung gegenüber Schwarzen berüchtigt ist und alles dafür unternahm, den Mord McDonalds durch einen Polizisten zu vertuschen? Das Skandieren von Parolen durch BLM ist nicht das Problem. Das wirkliche Problem sind Politiker, die immer nur »in Ruhe reden« wollen, wenn schwarze Leben ausgelöscht werden.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 24.11.2024 um 01:37:55 Uhr