Kolumne # 811 vom 4.07.2016: »Brexit«

04.07.16 (von maj) Der Vorstellung von der kapitalistischen Globalisierung auf EU-Ebene wurde ein ordentlicher Hieb auf die zu hoch getragene Nase versetzt

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 151 vom 4. Juli 2016: Bitte HIER klicken![1]

»Brexit«
Am 23. Juni entschied sich die Mehrheit der Bevölkerung des Vereinigten Königreichs in einem Referendum für den Ausstieg aus dem Bund der 28 Nationen namens Europäische Union (EU). Die von der britischen Presse mit dem griffigen Namen »Brexit« belegte Entscheidung löste weltweite Schockwellen aus. Dass der Ausgang des Referendums überhaupt diesen überraschenden Effekt erzielen konnte, zeigt deutlich, wie begrenzt der Horizont nationaler und internationaler Konzernmedien ist und wie wenig sie von der Welt, über die sie dauernd berichten, wirklich verstehen.
Der »Brexit« erlaubt auch einen Blick in die Welt des um sich greifenden rechten Nationalismus, der nicht zu trennen ist von den Bestrebungen kapitalistischer Globalisierung. Die EU, die in ihren Anfängen noch Europäische Gemeinschaft (EG) hieß, ist das Ergebnis eines sehr langen Prozesses der Vereinigung Europas zu einer einheitlichen wirtschaftlichen und politischen Macht von Weltrang – eine Art »Vereinigte Staaten von Europa«. Auch wenn dieser Gedanke nicht an Kraft verloren hat, bedeutet der Ausstieg eines seiner potentesten Mitglieder eine spürbare Schwächung des Vereinheitlichungsprozesses.
Das liegt hauptsächlich daran, dass die Institutionen der EU zuallererst und am besten ihren ökonomischen Eliten dienen, und es der Arbeiterklasse und den unter der Armutsgrenze lebenden Bevölkerungsteilen selbst überlassen wird, die Folgen der kapitalistischen Globalisierung abzuwehren. Die Stimmenmehrheit für den »Brexit« hat auch gezeigt, dass vor allem ältere Angehörige der britischen Arbeiterklasse sich zurücksehnen nach den »guten alten Zeiten«, als das britische »Empire« noch eine Hegemonialmacht war und nicht in einem faden europäischen Einheitsbrei unterging. Nun überlegen auch andere Nationen, ob es ihnen nicht außerhalb der EU besser gehen könnte.
Auf der Basis von Meinungsumfragen und den Kommentaren sogenannter Experten haben die Medien das nach ihrer Einschätzung wahrscheinliche Ergebnis vorhergesagt. Demnach sollte es beim Referendum zu einer Ablehnung des »Brexit« kommen. Dabei unterließ man es offensichtlich, auch die Stimmen der älteren Bürger, der Landbevölkerung, der Armen und der Arbeiterinnen und Arbeiter zu hören und in die Prognosen einzubeziehen. Es waren aber gerade diese Wähler, die man weder hören noch wahrnehmen wollte, die letztlich mit ihren Stimmen den Ausschlag für die Ablehnung der Fortsetzung der EU-Mitgliedschaft gaben. Sie verpassten dem System damit einen Schlag, der einige seiner mächtigen Träger schockierte.
Der bislang als unausweichlich angesehenen Vorstellung von der kapitalistischen Globalisierung auf EU-Ebene und darüber hinaus wurde damit ein ordentlicher Hieb auf die zu hoch getragene Nase versetzt. Es bleibt abzuwarten, ob diesem Schlag noch weitere folgen werden.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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[1] https://www.jungewelt.de/2016/07-04/075.php

Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel1417.html
Stand: 24.11.2024 um 02:05:32 Uhr