Kolumne # 820 vom 5.09.2016: Absurdes Theater

05.09.16 (von maj) Clinton und Trump werfen sich gegenseitig Rassismus vor. Für sie ist das aber nur ein Wort, um im Wahlkampf Aufmerksamkeit zu bekommen

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 207 vom 5. September 2016: Bitte HIER klicken![1]

Absurdes Theater
Als ich ein junger »Black Panther« war, besuchte eines Tages ein untersetzter blauäugiger Franzose das Hauptquartier der Black Panther Party (BPP) im kalifornischen Berkeley. David Hilliard, Stabschef der BPP, begrüßte unseren Gast kurz und reichte ihn dann an mich weiter. Ich sollte ihn bei seinem Gang durch unsere Büroräume begleiten und ihn den anderen Panthers vorstellen. Der Name des Franzosen war Jean Genet. Ich hatte damals überhaupt keinen blassen Schimmer, wer das war.
Deshalb drückte mir David ein schmales Buch in die Hand, das den Titel »The Blacks« trug und Jean Genet als Autor nannte. Ich schaute mir den Klappentext des Buches an, um mehr zu erfahren. Dort stand, dass es sich beim Inhalt des Buches um ein Theaterstück handelte, das im französischen Original »Les Nègres« (»Die Schwarzen«) hieß und als Beispiel galt für das, was als »Theater des Absurden« bezeichnet wurde.
Diese Beschreibung kam mir wieder in den Sinn, als ich vergangene Woche die tölpelhaften Bemühungen zweier weißer Politiker im Wahlkampf mitansehen musste – Hillary Clinton und Donald Trump – wie sie sich gegenseitig mit Argumenten niedermachten, wer von beiden der größere Rassist bzw. die größere Rassistin sei. Dabei wirkten sie wie zwei kleine Kinder, die im Sandkasten laut krakeelend herumzickten. »Rassist« warf Clinton Trump an den Kopf, und der machte eine Retourkutsche daraus und beschimpfte seine Wahlkampfgegnerin als »bigott« und warf ihr vor, Schwarze und Hispanics nur als Stimmvieh zu benutzen.
Was könnte lächerlicher sein als ein solcher Schlagabtausch? Die Wahrheit ist, dass die Weißen in den USA die strikte ethnische Trennung seit Jahrhunderten geformt und befördert haben. Bis heute leben wir in zwei sehr verschiedenen und auseinanderdriftenden Vorstellungswelten. Die eine basiert auf Privilegien, die andere ist geprägt von Entbehrungen und Mangel.
Als Zeugen der zunehmenden Fäulnis des Kapitalismus stellen wir fest, dass der Streit der beiden Kontrahenten Ausdruck skrupelloser Rücksichtslosigkeit in der Ellbogengesellschaft ist. »Rassismus« ist für sie letztlich nur noch ein Wort, ein Ding, ein Spielzeug, mit dem man in Wahlzeiten Aufmerksamkeit erheischt und vergessen macht, was morgen ist. Denn weder Clinton noch Trump haben eine politische Lösung für die rassistische Spaltung der Gesellschaft, die so ungeheuer tief geht und viel gewichtiger und realer ist als diese beiden Figuren, die uns nur ein absurdes Theater vorspielen.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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[1] https://www.jungewelt.de/2016/09-05/029.php

Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel1439.html
Stand: 24.11.2024 um 01:56:53 Uhr