Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 106 vom 8. Mai 2017: Bitte HIER klicken![1]
Gegen den Strom ein Leben lang
Wir Lebenslänglichen aus den Kerkern des »Slow death row«, der Zellentrakte des langsamen Todes, sind heute in Gedanken bei euch, wenn wir uns alle der vor zwei Monaten verstorbenen Juristin Lynne Stewart erinnern, einer »Anwältin des Volkes«, die in der besten Tradition all jener steht, denen dieser großen Titel gebührt.
Wir gedenken heute gemeinsam der außergewöhnlichen Lynne Stewart, die jahrzehntelang härter für andere kämpfte als für sich selbst. Sie setzte sich ein für die Gemeinden der Schwarzen und Latinos in den New Yorker Vierteln Black Harlem und Brooklyn. Wer weiß das besser als der hier anwesende Ralph Poynter, dessen Frau und Genossin sie war.
Für das System, für jene, die die teuflische Geißel der Masseninhaftierungen und die lebenslangen Haftstrafen für Jugendliche verantworten – Hillary Clinton brandmarkte diese Jugendlichen als »Superraubtiere« – war Lynne Stewart jedoch eine »Verräterin«. In ihren Augen hatte Stewart ihre Klasse, ihre weiße »Herrenrasse« und ihren ganzen Berufsstand verraten. Es dürfte klar sein, dass das massenhafte Einsperren von Menschen, wie es in den USA an der Tagesordnung ist, nicht möglich wäre ohne die große Zahl von sogenannten Verteidigern, die dabei willfährig mitmachen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine Tatsache hinweisen, bei der uns allen der Atem stocken sollte: Pennsylvania als einer von fünfzig US-Bundesstaaten sperrt allein mehr Minderjährige lebenslang ein als jeder andere Staat der Welt. Versteht ihr, Pennsylvania sperrt mehr Jugendliche ohne eine Chance zur Bewährung bis an ihr Lebensende in seine Gefängniszellen als jedes andere Land auf diesem Planeten – mehr auch als die oft geschmähten Länder China, Iran und Russland!
Und da fragen wir uns, wie wir an diesen Punkt gekommen sind, dass bei uns so viele Menschen eingesperrt werden. Lynne Stewart hat sich dieser Flutwelle entgegengestellt, und zwar direkt an der Front, wo die Urteile gefällt werden – in den Gerichten. Dort hat sie einen regelrechten Krieg gegen die Repression geführt. Sie schwamm gegen die Strömung, kämpfte jahrzehntelang. Wir sollten uns alle liebevoll an sie und den Kampf, den sie ihr Leben lang geführt hat, erinnern. Wenn sie schwarze Kids sah, sah sie in ihnen »ihre« Kinder. Wenn sie braune Kids sah, sah sie auch in ihnen »ihre« Kinder. Sie sah in ihnen das, was sie sind: Kinder und Jugendliche, die unseres Schutzes bedürfen. Deshalb werden wir Lynne Stewart niemals vergessen.
Übersetzung: Jürgen Heiser
Diese Botschaft schrieb Mumia Abu-Jamal für die Abendveranstaltung »Celebrating the Life of Lynne Stewart & Renewing the Fight to Free Mumia« (»Das Leben von Lynne Stewart ehren & den Kampf für Mumias Freiheit erneuern«). Sie fand am Samstag, dem 6. Mai, unter Federführung der Solidaritätskampagnen für die ehemalige politische Gefangene Lynne Stewart und ihren Genossen Mumia im »Eric Quezada Center for Culture and Politics« im Mission District von San Francisco statt. (jh)