Kolumne 876 vom 2.10.2017: Leere Worte

02.10.17 (von maj) Die bürgerlichen Anhänger des Liberalismus verharren in der bloßen Konversation. Doch gesellschaftliche Veränderung beruht auf sozialen Bewegungen

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 229 vom 2./3. Oktober 2017: Bitte HIER klicken![1]

Leere Worte
Hin und wieder erreicht uns aus den Tiefen der Vergangenheit ein besonderes Juwel der Erkenntnis und bringt Licht in unsere Gegenwart. Dabei kann es sich um völlig überraschend auftauchende Quellen handeln. Um das Jahr 1850 herum äußerte sich der konservative spanische Diplomat, Philosoph und Anhänger der katholischen Theologie, Juan Donoso Cortés (1809–1853), in seinen Schriften sehr kritisch über den im Werden begriffenen modernen Staat. Er kritisierte vor allem den bürgerlichen Liberalismus, dessen gesellschaftliche Funktion er damit umriss, sie sei Ausdruck »einer diskutierenden Klasse«.

Cortés entwickelte seine Kritik dem Grunde nach aus seiner Ablehnung der Auswirkungen der Aufklärung, der politischen Folgen der Französischen Revolution von 1789 sowie der französischen Februarrevolution von 1848. In seinen letzten Lebensjahren redete er zudem Diktaturen das Wort, weil sie nicht mehr redeten, sondern handelten. Doch kann ein Aspekt seiner Kritik für uns nützlich sein.

Einer seiner wichtigsten Kritikpunkte war, dass die »Klasse« bürgerlicher Liberaler sich nicht selbst in gesellschaftlichen Bewegungen engagiert. Die Protagonisten des aufkommenden bürgerlichen Liberalismus würden sich solchen Bewegungen um keinen Preis anschließen, sondern sich vielmehr auf das Darlegen ihrer Ansichten in Zeitungen beschränken. Nur manchmal hätten sie sich auch durch emsige Betätigung in der Legislative hervorgetan und Anstrengungen unternommen, bestimmte Gesetzgebungsverfahren voranzubringen. Aber zu mehr seien die Liberalen nicht bereit. Cortés monierte, ihr gesellschaftliches Engagement sei nichts anderes als das bloße Pflegen der Konversation. Punkt. Sie seien nicht bereit, ihre Privilegien zu gefährden, indem sie sich für die Belange anderer Klassen einsetzten.
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Nachdem das Trump-Regime nach der Macht im Staate gegriffen und seine Stellung im Herrschaftsapparat gefestigt hat, erleben wir viele Diskussionen. Manche davon sind sogar sehr kritisch. Aber durch Diskussionen in Zeitungen oder im Internet, etwa auf Facebook, werden keine gesellschaftlichen Bewegungen geschaffen.

Bewegungen, wirkliche soziale und politische Bewegungen, transformieren politisches Bewusstsein, das wiederum in die gesellschaftlichen Bewegungen einfließt und dazu beiträgt, sie weiterzuentwickeln. Verändertes Bewusstsein ist Nahrung für diese Bewegungen, die daraus ihre Kraft ziehen und gesellschaftliche Veränderungen und den Kampf zu ihrer Durchsetzung einfordern. Nur so kommt es zu gesellschaftlichem Wandel. Diskussionen allein reichen nicht.

Übersetzung: Jürgen Heiser


Links im Artikel: 1
[1] https://www.jungewelt.de/artikel/319215.leere-worte.html

Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel1562.html
Stand: 24.11.2024 um 02:01:33 Uhr