Kolumne 894 vom 5.02.2018: Allegorie auf den Neoliberalismus

05.02.18 (von maj) Am 22. Januar starb die Schriftstellerin Ursula Le Guin

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 30 vom 5https://www.jungewelt.de/artikel/326670.allegorie-auf-den-neoliberalismus.html?sstr=Allegorie%7Cauf%7Cden%7CNeoliberalismus. Februar 2018: Bitte HIER klicken![1]

Allegorie auf den Neoliberalismus
Die Schriftstellerin Ursula K. Le Guin wurde am 21. Oktober 1929 in Berkeley, Kalifornien, geboren. Sie war die Tochter der Schriftstellerin und Anthropologin Theodora Kroeber, die sich als Autorin von »Ishi in Two Worlds«, einer Biographie über den letzten Yahi-Indianer in Nordkalifornien, einen Namen gemacht hatte. Der Geburtsname von Le Guins Mutter war Kracaw. Ihre Vorfahren waren im 19. Jahrhundert aus dem polnischen Kraków in die USA eingewandert. Die ebenfalls zugewanderten Großeltern ihres Vaters, des Professors für Anthropologie Alfred Louis Kroeber, stammten ursprünglich aus dem Ort Kröbern in Thüringen.

Bekannt wurde Le Guin durch ihre Romane, von denen die meisten Themen der phantastischen Erzählliteratur behandelten oder des ­Science-Fiction-Genres, in denen sie aus den Scherben der realen Welt neue Welten entwarf. Ihre Werke enthielten oft eine nur leicht verhüllte Kritik an den Übeln imperialer Kriege und am Kampffieber des Militarismus. So etwa ihr 1972 in den USA veröffentlichter Roman »The Word for World is Forest« (dt. »Das Wort für Welt ist Wald«, 1975), ein allegorisches Werk, in dem sie unverkennbar den Vietnamkrieg reflektierte. Der 1974 erschienene Roman »The Dispossessed« (dt. 1976 »Planet der Habenichtse«; neu übersetzt 2006 als »Die Enteigneten« und 2017 als »Freie Geister«), erzählt vom anarchistischen Widerstand gegen die Ausplünderung der Gesellschaft durch die Reichen.

Ein weiteres Werk aus dem Jahr 1971 war der Roman »The Lathe of Heaven« (dt. »Die Geißel des Himmels«, 1974). Ein kurzer Auszug spiegelt den Geist wieder, aus dem Le Guin dieses Buch schrieb: »Er war in einem Land aufgewachsen, das von Politikern regiert wurde, die ihre Piloten aussandten, Bomben auf Babys zu werfen und sie zu töten, um die Welt sicherer zu machen für Kinder, die künftig dort aufwachsen würden.«

Le Guin schrieb ihre Bücher jedoch nicht nur für die Leser von Science Fiction. Auf dem eher seltener beackerten Gebiet der Philosophie warf sie mit ihrer Arbeit Fragen nach der wirklichen Natur der neoliberalen Gesellschaft auf. Die 1973 erschienene Kurzgeschichte »The Ones Who Walk Away From Omelas« (dt. »Die Omelas den Rücken kehren«, 1980) handelt von einer Welt, in der alles in Ordnung zu sein scheint – bis auf einem dunklen, übel riechenden Raum von der Größe einer Besenkammer, in dem ein kleines Kind haust, das in völliger Einsamkeit große Qualen erleidet. Aber irgendwie vermittelt gerade dieses exemplarische Leiden des Kindes, von dem alle wissen, den Einwohnern von Omelas das Gefühl gesellschaftlichen Wohlergehens.

Unter der Überschrift »The Child in the Broom Closet« (»Das Kind in der Besenkammer«) eröffnet die Philosophin Elizabeth Povinelli mit dieser grauenhaften Vision Le Guins die Einleitung ihres eigenes Buches »Economies of Abandonment« (dt. »Ökonomien der Verlassenheit«). Povinelli nutzt Le Guins Kurzgeschichte als Allegorie auf den modernen westlichen Neoliberalismus, der sich auf der unsichtbaren Gewalt des Kapitalismus und seinem ungeheuren Appetit gründet.

Für ihr umfangreiches Werk auf dem Gebiet der Science Fiction wurde Ursula Le Guin mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dreimal mit dem begehrten internationalen »Hugo Award«. Am 22. Januar 2018 starb die Autorin in ihrem Haus in Portland, Oregon, im Alter von 88 Jahren.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 24.11.2024 um 01:52:45 Uhr