Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 156 vom 9. Juli 2018: Bitte HIER klicken![1]
Freiheitsstatue niederreißen!
Das Weinen und verzweifelte Rufen kleiner Kinder nach ihren Müttern und Vätern war wie der Stich eines kalten Messers in die Herzen von Millionen Menschen. Sie mussten in Radio und Fernsehen mit anhören, was eine Anwältin heimlich mit ihrem Handy in einem der Behelfssammellager für die verschleppten Kinder und Jugendlichen irgendwo in den USA aufgenommen hatte. Die Medien zeigten Aufnahmen von Kindern, die vor Angst weinten und schrien, als US-Grenzpolizisten sie aus den Armen ihrer Mütter rissen, nur weil ihre Familien versucht hatten, die Grenze von Mexiko zu passieren und in die »Festung Amerika« zu gelangen. Die Schergen der »Vereinigten Sicherheitsstaaten von Amerika« rissen die Familien brutal auseinander, legten die Eltern in Handschellen und sperrten ihre Kinder in Käfige, wo sie einer ungewissen Zukunft entgegensehen.
Nach Jahrzehnten der Verteufelung hispanischer Migranten sind wir dank der vom US-Präsidenten völlig aufgeputschten und von Übertreibungen nur so strotzenden Hetzkampagne, die ihren Ursprung in der Kriminalisierung mexikanischer Einwanderer hat, nun mit dieser Situation konfrontiert. Die Kampagne war von vornherein so angelegt, sie sollte zu nichts anderem führen. Sie sollte Angst unter den aus Mittelamerika fliehenden Migrantinnen und Migranten verbreiten und in einem Meer aus Tränen enden. Für die törichte Idee, zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten eine Mauer zu bauen, die dem irren Alptraum eines Machthabers entsprungen ist, sollen die Tränen verlassener Kinder nun als Verhandlungsmasse missbraucht werden. Die Tränen der Kinder sollen der Demokratischen Partei die Zustimmung zum Bau der Mauer abringen.
Niemand von uns sollte über diese skrupellose Perfidie überrascht sein. Hier zeigt sich die eiskalte Fratze einer Politik, die sich auf der Angst vor dem Anderen, dem Fremden gründet. Geschürt wird die Angst vor Menschen mit brauner Haut, vor einer wachsenden hispanischen Gemeinde mit vielen jungen Menschen. Die US-amerikanische Gesellschaft kämpft mit einer sinkenden Geburtenrate, bei einer gleichzeitig steigenden Zahl von Selbstmördern, denen auch die von Ärzten mit vollen Händen ausgeteilten Opiate keinen Lebenssinn mehr vorgaukeln können. Die Suizidrate übersteigt mittlerweile die für sich genommen schon äußerst tragische Mordrate in den USA. Die panische Angst der Alten vor Veränderung ist die Ursache für Tränen und Schmerz der Jüngsten und die Angst, die in ihre kleinen Herzen gepflanzt wird.
Es ist deshalb an der Zeit, dass wir endlich das Geschenk niederreißen, das Frankreich einst der aufstrebenden Nation der Vereinigten Staaten von Amerika machte – die Freiheitsstatue! Sie steht nicht mehr für den Geist des Landes, in dem wir leben. Diese Nation, die sich in Angst badet und die in einer Atmosphäre rassistischen Hasses emporgestiegen ist, braucht in der Tat eine Mauer, denn sie gefällt sich darin, dass ihre kalten Herzen längst durch Ziegelsteine, Stahl und Stacheldraht vor dem Fremden und Neuen geschützt sind.
Übersetzung: Jürgen Heiser