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Anklage gegen Kolonialmacht
Die Regierung der USA solle endlich die »Verbrechen zugeben, die sie der Bevölkerung Puerto Ricos angetan hat«, ihr umgehend »Eigentum und politische Entscheidungsmacht zurückgeben« und »den Opfern des Kolonialismus Reparationen zahlen«. In diese Forderungen gipfelte das abschließende Urteil eines symbolischen Tribunals der puertoricanischen Unabhängigkeitsbewegung, das am vergangenen Samstag in New York stattfand.
Das »Internationale Tribunal über US-Kolonialverbrechen in Puerto Rico« tagte auf »geraubtem indigenen Land der Lenape«, wie es im Schlussdokument heißt. Gemeint ist der Stadtteil Hudson Heights im Norden Manhattans. Das große Kirchenschiff der dortigen zweisprachigen Gemeinde der Holyrood Church/Iglesia Santa Cruz war gut gefüllt, als die hochkarätige Jury aus US-amerikanischen und internationalen Verteidigern des Völkerrechts und der Menschenrechte zusammentrat, um Videodokumentationen anzusehen und Aussagen »von Experten, Augenzeugen, antikolonialen Widerstandskämpfern und Überlebenden« zu hören. Die »meisten von ihnen« seien »in Puerto Rico geboren« und gehörten nicht zu den rund fünf Millionen Migranten, die ins US-Exil gingen, seit die Karibikinselgruppe mit den Nebeninseln Vieques und Culebra 1898 von der spanischen Krone in den Besitz der Vereinigten Staaten überging, erklärte der Ankläger des Tribunals, der renommierte nicaraguanische Rechtsgelehrte und Anwalt Augusto Zamora.
Die Zeugenaussagen behandelten Themen wie Umweltzerstörung, Privatisierung des Bildungssystems und die 1937 begonnene Zwangssterilisation von Frauen vor allem aus der Arbeiterklasse. Angeprangert wurden die »rassistische Arroganz« gegenüber der Bevölkerung, ihre »unmenschliche Behandlung« sowie der wirtschaftliche Bankrott des Inselstaats. Teil der »von den USA fabrizierten Krise« sei auch die unterlassene Hilfeleistung nach der Katastrophe des Hurrikan »Maria«, der vor einem Jahr weite Teile der Insel verwüstete. Dazu gehöre auch die Ignoranz der US-Regierung, nach wie vor die Zahl von 4.645 Todesopfern durch den Hurrikan offiziell nicht anzuerkennen.
Rafael Cancel Miranda löste für seine einleitenden Worte anhaltenden Beifall des Publikums aus. Der legendäre Independentista, der zusammen mit Lolita Lebrón und zwei weiteren Mitstreitern 1977 nach 25 Jahren US-Haft durch eine Kampagne befreit worden war, grüßte das Tribunal mit einer Videobotschaft von der Insel. Als Zeitzeuge brachte der 88jährige die seit 120 Jahren nicht zum Verstummen gebrachte Forderung nach Unabhängigkeit auf den Punkt, verurteilte die Vernachlässigung der Jugend, die in Scharen die Insel verlässt, und wies die fortbestehenden Besitzansprüche von US-Regierung und Wall Street zurück. »Wir Puertoricaner schulden ihnen nichts! Sie schulden uns alles! Nicht nur Geld, sondern auch das Blut unserer Jugend«, betonte Cancel. Das sei »mehr wert als alle Schätze Nordamerikas«.
Vertreter der Gewerkschaften sowie Basisbewegungen und Organisationen unterschiedlicher gesellschaftlicher Bereiche und Arbeitsfelder berichteten über die Lage ihres Landes, das angesichts der dramatischen sozialen und ökonomischen Lage eine »koloniale Ruine« sei. Oscar López Rivera, der im Mai 2017 nach 36 Jahren aus US-Haft entlassene Aktivist, klärte mit einer Videodokumentation über die Repression gegen die Unabhängigkeitsbewegung auf.
Indem die Jury die US-Regierung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig sprach, aktualisierte sie, was die Vereinten Nationen seit 1972 jährlich in Dutzenden Resolutionen forderten: das Recht der Puertoricaner auf Souveränität. Vor allem Kuba tritt in der UNO unentwegt dafür ein, dass der Schwesterinsel dieses Recht gewährt und jeder Repression Washingtons und seiner jüngst wieder gewachsenen Militärpräsenz ein Ende bereitet wird.
Jürgen Heiser