Kolumne 998 vom 2.03.2020: Und die Mauern stürzten ein

02.03.20 (von maj) Nachruf auf Marpessa Kupendua, in der Black Community der USA als Sister Marpessa bekannt und legendär als Kämpferin für Leben und Freiheit der politischen Gefangenen

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 52 vom 2. März 2020: Bitte HIER klicken![1]

Und die Mauern stürzten ein
In den traditionellen afrikanischen Gesellschaften war der »Griot« jemand, der die Geschichte des Stammes im Gedächtnis behielt und als Erzähler oder Sänger mündlich überlieferte. Er gab weiter, was es Wissenswertes über Könige, Kriege und herausragende Ereignisse zu berichten gab, die sein Volk als Gemeinschaft, Nation oder Stamm auszeichneten.

Vor einigen Wochen ist die Frau, die sich in der schwarzen Gemeinde als »Sister Marpessa« einen Namen gemacht hat, in die Welt der Wesen zurückgekehrt, nachdem sie jahrzehntelang hart als Griot für den »Black Tribe«, den Stamm der Schwarzen in den USA gearbeitet hatte.

Sister Marpessa lebte in einer Kleinstadt im Bundesstaat Delaware an der Ostküste der USA. Ihre Arbeit war Schreiben, vor allem über die Freiheitskämpfe der Schwarzen. Sie hatte schon über Gefängnisse und Gefangene geschrieben, lange bevor die Masseninhaftierungen zu einer »Sache« wurden, zum Thema schlechthin.

Seit den 1990er Jahren veröffentlichte sie zusammen mit einer kleinen Gemeinschaft kämpferischer Schwestern im Internet Artikel über die ihnen wichtigen Themen. Sister Marpessas Liebe zu allen Schwarzen floss durch ihre Fingerspitzen in Stifte und Tasten, wenn sie über ihre eigenen Einsichten schrieb, und in Artikel und Kolumnen über aktive Brüder und Schwestern in Delaware, das Gefangenenkollektiv der »Move 9« und über mich.

Dass ihr die Sache der politischen Gefangenen besonders am Herzen lag, wurde deutlich, als sie am 21. Januar 1998 unter der Überschrift »Was ist ­Jericho 98?« einen Artikel schrieb, aus dem das folgende Zitat stammt:

»Die Vision des Projekts ›Jericho ’98‹ leitet sich von jenem alten Spiritual ab, in dem der erste Vers lautet: ›Josua schlug die Schlacht von Jericho, Jericho, Jericho / Josua schlug die Schlacht von Jericho / und die Mauern stürzten polternd ein.‹ Seit eh und je leugnet die Regierung der Vereinigten Staaten die Existenz von politischen Gefangenen in diesem Land. Wir sind davon überzeugt, dass eine in den nächsten vierzehn Monaten erfolgende konzertierte und organisierte Anstrengung dafür sorgen wird, dass die Vereinigten Staaten die Existenz der eingesperrten Brüder und Schwestern nicht länger leugnen können. Wir werden die Voraussetzungen dafür schaffen, Amnestie und Freiheit für alle politischen Gefangenen durchzusetzen. Sie schmore seit Jahrzehnten in US-Gefängnissen, während wir nur ineffektive und schlecht organisierte Kampagnen zur Erlangung ihrer Freiheit auf die Beine stellten. Es ist deshalb an der Zeit, zu diesem Thema endlich eine Kampagne von internationaler Bedeutung zu schmieden. (…) Wir werden in Kirchen, Schulen, Kneipen und Versammlungen darüber informieren, dass es in diesem Land politische Gefangene gibt. Auf Podiumsdiskussionen, mit Plakaten, Buttons und Broschüren werden wir das Thema ansprechen und für das Frühjahr 98 den Marsch auf das Weiße Haus organisieren.«

Wir hatten alle das Glück, Sister Marpessa auf unserer Seite, der Seite der Freiheit zu haben. Vor einigen Jahren hat eine Gruppe von Unterstützern sie in ihrem kleinen Haus in Delaware aufgesucht und ihr eine Auszeichnung in Form des afrikanischen Kontinents überreicht. Auf der Vorderseite waren die Worte eingraviert: »Wir lieben dich, wir respektieren dich«.

Jeder Stamm braucht einen Griot wie Sister Marpessa, denn Griots sind das kollektive Gedächtnis des Volkes. Marpessa Kupendua, Frau von Jahfree, Mutter von vielen, ist an den Ursprung zurückgekehrt. Wir lieben und respektieren sie.

Übersetzung: Jürgen Heiser


Links im Artikel: 1
[1] https://www.jungewelt.de/artikel/373624.und-die-mauern-st%c3%bcrzten-ein.html

Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel1773.html
Stand: 24.11.2024 um 00:26:24 Uhr