Kolumne 1.025 vom 07.09.2020: Der Sinn von Polizeiterror

07.09.20 (von maj) »Ein hervorragender Hinweis auf die tatsächliche Stabilität eines jeden Regimes ist das Ausmaß, in dem es gezwungen ist, zu physischer Gewalt zu greifen, um die Kontrolle zu behalten.« (Carl G. Gustavson)

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 209 vom 7. September 2020: Bitte HIER klicken![1]

Der Sinn von Polizeiterror
Am 5. September 1998 versammelten sich Zehntausende junge Schwarze in der Hauptstadt der schwarzen Kolonie, der historischen New Yorker Gemeinde Harlem, zum »Million Youth March«. Der Staat wollte den Marsch verbieten und entsandte seine bewaffneten Agenten des Polizeiterrors aus, um die Sehnsucht nach Befreiung zu ersticken, die in den Herzen der Jugendlichen pulsierte. Was nützt einem ein sogenanntes verfassungsmässiges Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit, wenn der Staat die Ausübung dieses Rechts wie eine Straftat behandelt?

Die überwältigende Polizeipräsenz in Harlem war die Reaktion des Staates auf einen Marsch, den er mit allen Mitteln verhindern wollte. Die höflichen Aufrufe der gezähmten schwarzen Bourgeoisie, der Marsch solle »friedlich« durchgeführt werden, zeigten sehr klar, dass diese nicht den Interessen der Jugend, sondern denen ihrer Klasse dient. Der Staat und die wirtschaftlichen Kräfte, die ihn antreiben, stellten sich gegen die schwarze Jugend und setzten das ganze Arsenal ihrer Macht ein, um dieser Generation von Besitzlosen ihre Militanz auszutreiben.

Die 2019 verstorbene Sister Marpessa Kupendua nahm aktiv an dem Marsch teil. Am darauffolgenden Tag beschrieb sie in ihrem Artikel »Polizeiterror verbreitet wahre Hassbotschaften in Harlem«, was sie gesehen und gehört hatte. Sie zitierte die Reaktion einer Schwester auf das Übermaß an Polizeikräften: »Wir waren eingepfercht wie Schweine und wurden durch Polizeisperren und enge Passagen getrieben wie Vieh. Viele von uns wurden davon abgehalten, überhaupt zum Versammlungsort zu gelangen. Sie rissen uns auseinander, wie sie es mit unseren Familien während der Sklaverei getan haben.«

Kupendua stellte Fragen zu den politischen und militärischen Zielen, die der Staat damit verfolgte: »Was war ihr Masterplan? Waren sie da, um uns wie beim Massaker im südafrikanischen Township Sharpeville am 21. März 1960 niederzumähen? Das fragte sich ein afrikanischer Teilnehmer, als wir auf Hunderte von Polizeischarfschützen auf den Dächern aller umliegenden Gebäude aufmerksam wurden. Die Waffen waren auf uns, auf unsere Kinder gerichtet. Wir saßen buchstäblich in der Falle, konnten nirgendwohin, waren alle nur einen Schuss weit von ihnen entfernt.«

Kupendua berichtete weiter, wie Hubschrauber den ganzen Tag über der Menge kreisten, tief hinunterflogen und dicht über die Köpfe schwirrten. Noch vor Beginn der Kundgebung »stürmte eine Gruppe von Polizisten in die Menge, und eine weitere Gruppe von hinten die Bühne. Redner Khallid Muhammad warnte, Frauen und Kinder sollten den Bühnenbereich sofort verlassen, aber die Polizisten rissen sie wie ein Rudel hungriger Wölfe zu Boden – ein unfassbarer Anblick.«

Das ungeheuerliche Handeln des Polizeistaates sandte letztlich eine eindeutige Botschaft aus: Die schwarze Rebellion wird zerschlagen. Punkt. Doch der vorsätzliche faschistische Angriff auf das Volk wurde selbst nicht angegriffen oder, wenn doch, dann nur mit Worten! Die Geschichte lehrt, dass faschistische Regime ein Beweis dafür sind, dass sie mehr Unsicherheit erzeugen und nicht mehr Sicherheit, wie es Carl G. Gustavson, der bekannte Historiker, 1955 in seinem Werk »A ­Preface to History« (»Ein Vorwort zur Geschichte«) schrieb: »Ein hervorragender Hinweis auf die tatsächliche Stabilität eines jeden Regimes ist das Ausmaß, in dem es gezwungen ist, zu physischer Gewalt zu greifen, um die Kontrolle zu behalten. Eine konsequente Zurschaustellung von Gewalt, wie z. B. die Existenz einer starken Geheimpolizei, ist an sich schon ein Anzeichen dafür, dass das Regime einer starken internen Opposition gegenübersteht.«

Die »Polizeirepublik New York«, wie sie sich 1998 der Jugend zeigte, war ein solches Regime, in dem »Il Duce« Rudolph »Rudy« Giuliani, New Yorks republikanischer Bürgermeister von 1994 bis 2001 und heute Unterstützer, »Berater« und Wahlhelfer von Donald Trump, seine Terrorbanden gegen das Volk von der Leine ließ. Dieser faschistische Terror spiegelte die starke Furcht davor wider, dass das Volk gegen die Unterdrückung rebelliert, die für Schwarze und Latinos in der Hauptstadt des Kapitals typisch ist. Machen wir uns keine Illusionen; das Motto der Cops, »Dienen und beschützen«, war noch nie auf das Volk bezogen. Das wurde schon vor 22 Jahren am Tag des Marsches der Jugend unter Beweis gestellt und gilt bis heute. Und es zeigt: Es gibt keine Zeit, in der aufzubegehren nicht gut ist.
Übersetzung: Jürgen Heiser


Links im Artikel: 1
[1] https://www.jungewelt.de/artikel/385827.der-sinn-von-polizeiterror.html

Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel1833.html
Stand: 24.11.2024 um 02:00:18 Uhr