Kolumne 1.047 vom 8.02.2021: Rechte Wunderwelten

08.02.21 (von maj) Die christliche Rechte arbeitet seit langem am Sturz des Systems

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 32 vom 8. Februar 2021: Bitte HIER klicken![1]

Rechte Wunderwelten
Wenn man an die Menschenmenge denkt, die am 6. Januar 2021 die Räume des Kapitols in der US-Hauptstadt Washington demolierte, fragt man sich: Wer sind diese Leute? Woher kommen sie? Vor weit über einem Jahrzehnt recherchierte der investigative US-Journalist Chris Hedges über die Ursprünge dieser Bewegung und schrieb ein Buch darüber. Hedges war früher als Auslandskorrespondent für die New York Times tätig und hatte bis 2005 über Kriege, Hungerkatastrophen und gescheiterte Staaten berichtet. 2007 veröffentlichte er dann sein sehr bemerkenswertes Buch mit dem Titel »American Fascists«. Untertitel: »The Christian Right and the War on America« (»Amerikanische Faschisten. Die christliche Rechte und der Krieg gegen Amerika«).

Auf den Spuren dieser nordamerikanischen religiösen Erweckungsbewegung, die auf den Calvinismus des 16. Jahrhunderts in Europa zurückgeht, arbeitete sich Hedges tiefer in die Materie ein und erforschte die inneren Beweggründe dieser gesellschaftlichen Strömung. Die Bewegung werde »von der Angst vor mächtigen äußeren und inneren Feinden getrieben«, schrieb er sinngemäß, und sei dabei seit einiger Zeit mit großer »Komplexität und Gerissenheit am Werk«. Die äußeren und inneren »Phantomfeinde« dienten dazu, »die Gläubigen in Angst und in einem erhöhten Alarmzustand zu halten, jederzeit bereit, repressive Maßnahmen gegen alle zu unterstützen, die sich nicht der Bewegung anschließen«, schrieb Hedges weiter.

Als der Neoliberalismus in den 1980er und 1990er Jahren an die Macht kam, tat er dies zum einen auf dem Rücken der in Armut gehaltenen Schwarzen, die massenhaft in die Gefängnisse geschickt wurden, und zum anderen auf Kosten vieler weißer Arbeiterinnen und Arbeiter, die in Folge des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA ihre Arbeitsplätze in den heimischen Produktionsstätten verloren und so aus einer Arbeitswelt, die ihnen zuvor steigende Löhne beschert hatte, in die globalisierten Arbeitskämpfe geschleudert wurden. Hedges nannte NAFTA in einem Interview ein »verhängnisvolles Handelsabkommen, durch das gute, tariflich entlohnte Arbeitsplätze vernichtet und an Orte wie Mexiko verlagert wurden, wo Arbeiter ohne Sozialleistungen für drei US-Dollar die Stunde schuften«.

Der geprellten weißen Arbeiterschaft eröffnete die christliche Rechte mit ihrem allumfassenden Glauben Wunderwelten und zog sie in einen Krieg gegen die Privilegierten und Wohlhabenden hinein. Das ist das Wesen des US-amerikanischen christlichen Faschismus, wie ihn Hedges beschreibt. Und es ist zu erwarten, dass es nur noch schlimmer werden kann. »Mit ihrem Weckruf hat die Bewegung das Fieber der Verzweiflung und Wut ihrer Anhänger in die Höhe getrieben«, heißt es im Klappentext des Buches. »Alles, was es braucht«, schrieb Hedges, »ist eine weitere nationale Krise in der Größenordnung des 11. September, und die christliche Rechte wird eine konzertierte Aktion zur Zerstörung der US-amerikanischen Demokratie unternehmen. Die Bewegung wartet nur auf eine solche Krise. In jenem Moment werden sie sich als das entlarven, was sie wirklich sind – die US-amerikanischen Erben des Faschismus.«
Übersetzung: Jürgen Heiser


Links im Artikel: 1
[1] https://www.jungewelt.de/artikel/395979.rechte-wunderwelten.html

Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel1879.html
Stand: 24.11.2024 um 01:03:08 Uhr