Link zum Artikel in junge Welt Nr. 266 vom 15. November 2021: Bitte HIER klicken![1]
Rassistische US-Justiz
Zwei aktuell laufende Prozesse in den USA zeigen, dass sich bei der justitiellen Aufarbeitung gewaltsamer Auseinandersetzungen die Frage, wer am Ende »Opfer« und wer »Täter« ist, meist an der Hautfarbe der Beteiligten entscheidet. Erst vergangene Woche berichtete jW über den schwarzen US-Bürgerrechtler Mumia Abu-Jamal, der im Dezember 1981 von dem weißen Polizisten Daniel Faulkner niedergeschossen wurde. Doch obwohl Abu-Jamal das eigentliche Opfer rassistischer Polizeigewalt war, wurde er angeklagt, ein halbes Jahr später zum Tode verurteilt. Er kämpft bis heute um seine Berufungsrechte, um seine Unschuld beweisen zu können.
Auch im Verfahren gegen den Weißen Kyle Rittenhouse spielt die Hautfarbe eine zentrale Rolle. Am 25. August 2020 hatte der heute 18jährige militante Rassist in Kenosha/Wisconsin zwei unbewaffnete Aktivisten einer »Black-Lives-Matter«-Demo erschossen. Der spontane Protest hatte sich gegen einen Akt brutaler Polizeigewalt gerichtet, bei dem weiße Cops dem Schwarzen Jacob Blake siebenmal in den Rücken geschossen hatten.
Die Polizei ließ Rittenhouse trotz der tödlichen Schüsse mit seinem halbautomatischen AR-15-Gewehr unbehelligt abziehen. Erst später wurde er verhaftet und wegen zweifachen Mordes und versuchten Mordes an einer weiteren Demonstrantin angeklagt. Der Prozess, in dem Rittenhouse auf »nicht schuldig« plädierte, und sich gegen Zahlung von zwei Millionen US-Dollar Kaution auf freiem Fuß befindet, begann am 1. November 2021 in Kenosha unter dem Vorsitz von Richter Bruce Schroeder. Während Kreise ultrarechter US-Milizen Rittenhouse als ihren Helden feiern, bewertete der Richter die Belege für Verbindungen des Angeklagten zu den faschistischen »Proud Boys« als »nicht beweiserheblich«, da sie »nichts über Rittenhouses Denkweise bei Abgabe der Schüsse« aussagten.
Bizarr wurde es, als Schroeder auf Antrag der Verteidigung anordnete, die erschossenen Aktivisten dürften nicht als »Opfer« oder »mutmaßliche Opfer« bezeichnet werden. Rechtsexperten hatten dazu laut New York Times vor Gericht erklärt, der Begriff »Opfer« könne die Geschworenen nachteilig beeinflussen »hinsichtlich einer Festlegung, wem Unrecht geschehen« sei. Der Richter bot den Anwälten von Rittenhouse sogar an, die Erschossenen in ihren an diesem Montag beginnenden Plädoyers als »Brandstifter oder Plünderer« zu bezeichnen, sofern sie »Beweise für entsprechendes Handeln der Aktivisten« lieferten.
Demgemäß erklärte Rittenhouse am Donnerstag medienwirksam unter Tränen, er habe »in Notwehr« gehandelt und »nichts falsch gemacht«, so der US-Sender CNN zu der Situation, als Rittenhouse den ersten unbewaffneten Aktivisten mit vier Schüssen aus seinem Gewehr tötete.
Eine ähnliche Verdrehung der Tatsachen, die Opfer zu Tätern macht und für weiße Angeklagte die Perspektive eröffnet, für sich »Notwehr« in Anspruch zu nehmen, zeichnet sich auch im Mordprozess um den Tod des 25jährigen Schwarzen Ahmaud Arbery ab. Vor einem Gericht in Brunswick, Georgia, müssen sich drei Weiße verantworten, die Arbery am 23. Februar 2020 in einem Vorort der Stadt beim Joggen erschossen hatten. Gregory McMichael (65), sein 35 Jahre alter Sohn Travis und ihr Nachbar William Bryan (52) gaben vor, Arbery laut CNN »instinktiv« für einen »flüchtenden Dieb« gehalten zu haben. Sie hätten »den Verdächtigen festnehmen« wollen, wozu in Georgia jeder Bürger das Recht habe.
Anfangs hatte die Staatsanwaltschaft gar nicht ermittelt und die drei erst 74 Tage nach der Tat festgenommen, nachdem ein Video über Arberys Tod viral gegangen war und landesweit Proteste augelöst hatte. Die Aufnahmen zeigen, dass sich die beiden mit Gewehr und Revolver bewaffneten McMichaels dem joggenden Arbery mit ihrem Pickup in den Weg stellen und dann in einem Handgemenge mehrere Schüsse fallen und Arbery zusammenbricht.
Der Prozess, in dem sich die Angeklagten für »nicht schuldig« erklärten, begann schon am 18. Oktober 2021, zog sich aber wegen der Wahl der Geschworenen endlos hin. Am Ende sitzen elf Weiße und nur ein Schwarzer zu Gericht, obwohl Brunswicks Bevölkerung zu 55 Prozent aus Schwarzen besteht. Entsprechend auftrumpfend führen sich die weißen Angeklagten nun seit Beginn der Beweisaufnahme am 18. November im Gerichtssaal wie Ankläger auf, die nur versucht hätten, einen »schwarzen Straftäter dingfest zu machen«.
Jürgen Heiser