Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 170 vom 25. Juli 2022: Bitte HIER klicken![1]
73 lange Minuten
Seit den erschütternden Ereignissen in der Robb Elementary School im texanischen Uvalde am 24. Mai 2022 sind nun schon einige Wochen vergangen. Zu viele Wochen, seit 19 Kinder und zwei ihrer Lehrerinnen von einem jungen Mann mit einem halbautomatischen AR-15-Gewehr niedergeschossen wurden. In kurzer Zeit hatte er Hunderte von Geschossen in der Grundschule abgefeuert.
Vom ersten Tag an hatten sich die eingesetzten Polizisten als »Helden« dargestellt, die selbstlos das Leben der Kinder und ihrer Lehrerinnen und Lehrer verteidigt hätten. Bis Handyvideos ihr wahres Handeln in den Fluren der Schule zeigten: Sie warteten ab. Sie warteten und warteten und warteten! Während diese Kinder langsam und methodisch abgeschlachtet wurden, waren die Cops nur ein paar Schritte von ihnen entfernt und »warteten auf Verstärkung«!
Waren sie denn so wenige? Es waren jedenfalls mehr als auf einem Parkplatz bei Dot & Donuts, wo die Cops so gern ihre Kaffeepausen verbringen. Anfangs waren es mehr als ein Dutzend, mindestens 19, dann 20, 50, über hundert. Am Ende fast 400 Cops. Es dauerte fast eineinhalb Stunden, offiziell festgestellt 73 Minuten, bis die Bedrohung durch den Schützen »neutralisiert« war. 73 lange Minuten, in denen diese Kinder starben. Zehnjährige aufgeweckte und inspirierende Kinder. Einige wählten auf ihren Handys sogar den Notruf 911, ohne zu wissen, dass die Polizei bereits vor Ort war. Von den ersten Minuten an waren sie da, bis an die Zähne bewaffnet mit halbautomatischen Gewehren und geschützt durch kugelsichere Schutzschilde – aber sie warteten ab, ohne etwas zu tun.
Wozu waren sie gut? Wie können sich Eltern jemals wieder sicher fühlen, wenn sie ihr Kind zur Schule schicken? Warum sollten sie jemals wieder der Polizei vertrauen?
Übersetzung: Jürgen Heiser
Laut Texas Tribune belege ein am 17. Juli veröffentlichter Untersuchungsbericht des texanischen Repräsentantenhauses, dass der 18jährige Schütze, der sein ehemaliges Klassenzimmer der 4. Grundschulklasse stürmte, bereits »ein Jahr vor dem Massaker auffällig geworden« sei (siehe jW vom 21.7.2022). Er habe »maßlose Drohungen insbesondere gegenüber Frauen ausgesprochen, die er mit brutalen Schilderungen von Gewalt und Vergewaltigungen terrorisierte«. Vor dem Amoklauf hatte er auch auf seine Großmutter geschossen und sie schwer verletzt. Der amtliche Bericht zeige, dass es schon weit vor »einer der schlimmsten Massenerschießungen in Texas« eine Reihe von Anzeichen für die Aktion gab, »die monatelang vorbereitet wurde«.
Deshalb und wegen der Untätigkeit der eingesetzten Polizeikräfte hätten »viele Angehörige der Opfer ihre Wut und anhaltende Frustration zum Ausdruck« gebracht, so die Texas Tribune. »Feiglinge!« habe Ruben M., dessen zehnjährige Urenkelin ermordet worden war, während der Pressekonferenz des Parlamentsausschusses ausgerufen.
Angehörige der Opfer fordern nun die strafrechtliche Verfolgung der Beamten. »Sie sollten dafür angeklagt werden, dass sie nicht eingeschritten sind und zuließen, was unseren Kindern angetan wurde«, sagte Evadulia O., deren zehnjähriger Sohn getötet worden war, der Zeitung. Sie wisse nicht, »ob sie ihre anderen drei Kinder wieder in die Schule schicken« könne, solange unklar sei, »ob das Schulamt die Sicherheit verbessern« werde. (jh)