Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr.142, 21./22. Juni 2003
»Streit mit anderen Nationen wird nicht vor Gericht ausgetragen; Könige lassen Kanonen als ihre Anwälte sprechen, und das Schwert - nicht das der Gerechtigkeit, sondern das des Krieges - entscheidet den Fall.«
Thomas Paine, »Common Sense«, 1776
Der für beendet erklärte Krieg gegen Irak wird schnell zu einer verblassenden Erinnerung werden, und die »Gründe«, die vom höchsten Repräsentanten der Exekutive für diesen Konflikt vorgebracht wurden, scheinen noch schneller zu verblassen. Auch wenn es uns schwerfällt, uns so wahnsinnig weit zurückzuerinnern - nämlich zwei lange Monate! -, so sollten wir doch versuchen, uns noch einmal die Dringlichkeit vor Augen zu führen, die »der Welt einzige Supermacht« auf die staubigen und blutigen Schlachtfelder getrieben hat. Die Mitglieder der Bush-Administration schlugen schrille Töne an, als sie mit finsterer Miene vor der Nation das Bedrohungsszenario entfalteten, warum dieser Krieg JETZT geführt werden müsse: a) wegen der Massenvernichtungswaffen; b) wegen Iraks enger Verbindungen zu Bin Ladens Al-Qaida-Netzwerk und c) wegen Iraks Verantwortung für die Schrecken des 11. September.
Der »Krieg mit Irak« - wenn man ihn überhaupt so nennen kann - war eigentlich eher der Durchmarsch durch die Reihen einer ungeheuer geschwächten Armee, die durch den langen »stillen Krieg«, den Britannien und die USA gegen sie geführt haben, stark dezimiert war: Zehn Jahre ununterborchener Bombardements der irakischen Luftabwehr und der südlichen Provinzen unter den Augen der Vereinten Nationen, die stillschweigend wegschauten. Unter dem Regen der teuflisch-tödlichen Granaten mit angereichertem Uran, die das Land auf Jahre verseuchen, mit einer stagnierenden Wirtschaft, die zum Beiwerk der von den Vereinten Nationen verhängten Sanktionen verkommen war, und einer erschöpften, hungernden, verzweifelten und desillusionierten Bevölkerung hatte Irak keine Ressourcen mehr, der »Welt einziger Supermacht« mit einem starken Widerstand entgegenzutreten.
Es war noch kein Monat nach dem offiziellen Ende dieses Krieges vergangen, da war alle Dringlichkeit, sich in die Schlacht zu stürzen, schon wieder vergessen. Absolut kein Beweis für »Massenvernichtungswaffen«, kein Beweis für die engen Verbindungen zwischen Irak und Al Qaida und nicht der geringste Beweis für die weitverbreitete und weithin geglaubte angeblicheVerstrickung Iraks in die Ereignisse des 11. September.
Ende Mai 2003 machte nur eine Geschichte Schlagzeilen in allen Zeitungen, auf allen Fernseh- und Hörfunkkanälen: Der Fall von Jayson Blair. Es ging dabei um einen Journalisten, der seinen Zeitugsverleger über die Quellen und Zitate seiner Artikel belogen hatte. Von großer Bedeutung ist dabei der Umstand, daß dieser Mr. Blair, der Täter dieser hinterhältigen Attacke auf die ehrbare Presse, ein Schwarzer ist. Demzufolge haben seine Missetaten zu laustarker und offener Kritik an Integrationsmaßnahmen für Minderheiten auf dem Arbeitsmarkt geführt und auch zu Kritik an der New York Times, Blairs Arbeitgeber.
Da lügt also ein junger Mann seinen Arbeitgeber über die von ihm recherchierten Artikel an, und sein Fall wird zu einem Skandal von nationaler Tragweite. Die Bush-Regierung hat die Medien des Landes und die Bevölkerung über den Irak-Krieg angelogen - einen Krieg, in dem Tausende ihr Leben verloren -, und das Land reagiert mit Schweigen.
Die Medienkonzerne haben den Krieg als eine großartige und ehrenvolle Sache begrüßt. Sie haben den großen Imperator - oh pardon, ich meine natürlich: den Präsidenten - für seinen Sieg mit Blumengebinden und Lorbeerkränzen überschüttet, und die Nation schwelgt in kriegerischem Stolz. Man hat einen viertklassigen Gegner niedergerungen und sich an den ungeheuren Ölreserven des unterworfenen Landes bereichert - willkommene Kriegsbeute.
Die Gründe für den Krieg? In hundert Jahren werden Historiker eine Fußnote schreiben in einem 400-seitigen Wälzer über die Bush-Präsidentschaft, Teil 2 (den Arundhati Roy auf köstliche Weise »George den Geringeren« nennt). Der Irak-Krieg wird ihnen eine winzige Randbemerkung wert sein im großen Erguß über die Pax Americana. Sie werden womöglich die Übel des Saddam-Regimes als Rechtfertigung für diesen Krieg erwähnen. Vielleicht wird der Autor, wenn er den Mut dazu hat, irgendeine vage Andeutung über »Öl-Interessen« einfließen lassen.
Was man in diesem Werk sicher nicht finden wird, ist die Feststellung eines festen wissenschaftlichen Mitarbeiters einer der großen US-Denkfabriken, der das erste Irak-Abenteuer und die Invasion der Philippinen, die vier Invasionen Kubas, die fünf Invasionen Nicaraguas, die drei Invasionen Mexikos und all die anderen seit 1890 analysiert hat. Michael Ledeen vom American Enterprise Institute kommt dabei zu dem Schluß:
»Die Vereinigten Staaten brauchen es etwa alle zehn Jahre, sich irgendein mickriges kleines Land vorzunehmen und es an die Wand zu schmeißen, nur um der Welt zu zeigen, daß wir es ernst meinen.«
Genau darum geht es: Eine mächtige Nation, immer noch geplagt vom Alptraum Vietnam, will der Welt zeigen, wie stark sie in Wahrheit immer noch ist. Niemand wird es leugnen: Im Tyrannisieren von Schwächeren sind die USA groß.
Irak ist nur ein Beispiel dafür.
Übersetzung: Jürgen Heiser